■ Warum muss „gerechter Krieg“eine Begleiterscheinung der Menschheitsentwicklung sein?: Wehe den zu Erziehenden
betr.: „Anarchie der Moral“ von Sibylle Tönnies, taz vom 15. 1. 02
In ihrem Beitrag stellt Sibylle Tönnies fest, das moderne Völkerrecht sei spätestens am 11. September zusammengebrochen. Damit mag sie recht haben. Auch analysiert sie treffend, dass der amerikanische „war against terror“ einen Rückfall ins Mittelalter, einen „moralisch hoch aufgeladenen“ Krieg der „Gerechten“ darstellt. Diesen Rückfall ins Mittelalter aber, kann man doch unmöglich gut heißen, waren es doch gerade „mittelalterliche Verhältnisse“, die dem verhassten Taliban-Regime zu Recht immer wieder zur Last gelegt wurden. Doch genau das scheint Tönnies zu tun. Kritik an der amerikanischen bzw. westlichen Vorgehensweise verbietet sich ihrer Meinung nach von selbst, sei doch die einzige Alternative ein Abschied vom Schutz der Menschenrechte.
Zugegeben: Tönnies preist den „gerechten Krieg“ nicht gerade als der Weisheit letzter Schluss, warum aber muss er eine „notwendige Begleiterscheinung der Menschheitsentwicklung“ sein? So wie der „war against terror“ momentan geführt wird, ist er in der Tat ein moralisch hoch aufgeladener Krieg; ein randvoll mit falscher Moral aufgeladener Kreuzzug, der gerade Werten wie den Menschenrechten mehr schadet als er ihnen zu Gute kommt.
Wie kann eine Politik willkürlich geführter Angriffskriege, die Humanität immer nur als Deckmantel nutzt, um primitiven Rachegelüsten oder wirtschaftlichen Interessen nachzugehen, als Ersatz für das Völkerrecht dienen? Wäre doch die Grundlage des von den Amerikanern propagierte Krieges gegen den Terrorismus, oder auch der Out-of-Area-Strategie der Nato nur ein ehrliches, gerechtes Konzept, ebenso universell wie die Menschenrechte! In Wahrheit aber werden die hehren Ziele des Westens im Einzelfall schnell wieder über Bord geworfen, wenn vitale Interessen der USA oder ihrer Verbündeten berührt werden. Gerecht ist eben immer nur das, was die Mächtigen für richtig halten.
Um dies zu belegen ist nicht einmal der Verweis auf das Totschweigen des Tschetschenienkonflikts oder auf die Politik der USA im mittel- und südamerikanischen Raum notwendig, dazu reicht schon ein Blick auf den Afghanistankrieg. Ohne mit der Wimper zu zucken werden 4.000 Menschen (so gelesen am 15. 1. auf Seite 1 der taz) dem Krieg der Gerechten geopfert, deren Tod scheint legitim, ganz im Gegensatz zu den gut 3.000 Toten des 11. Septembers. Warum darf der US-Präsident entscheiden, tausende Menschenleben für seine Vorstellung von Gerechtigkeit zu opfern, wenn gleichzeitig Usamma bin Laden für genau diese Verhaltensweise von aller Welt zu Recht auf das Schärfste verurteilt wird?
Das moderne Völkerrecht mag tot sein, aber wenn das Recht des Stärkeren zu seinem allgemein akzeptierten Nachfolger avancieren sollte, dann ist das keine Begleiterscheinung einer positiven Entwicklung der Menschheit, sondern ein großer Schritt fort von der laut Tönnies „nicht revidierbaren Ethisierung der Weltgesellschaft“. Eine solche Ethisierung kann nur ein demokratischer Prozess sein, der mit der heutigen Politik des Westens wenig gemein hat. ANDREAS SCHIEL, Bielefeld
So sehr man oft genug geneigt sein mag, vieles als gerade noch zur Sichtung der gegebenen Verhältnisse geeignet zu betrachten, so wenig hat diese halsbrecherische Ansammlung von abstrusen Ideologemen mit dem zu tun. Ein wirklich entnervendes Glaubensbekenntnis zur Auferstehung des linkshegelianischen Weltgeistes, wenig mehr als säkular enthusiasmierte Theologie!
Die klassische Lehre vom bellum iustum ist ein den Krieg streng einhegender, äußerst differenzierter naturrechtlicher Begründungszusammenhang und als solcher gerade nicht die Setzung eines moralischen Krieges im Sinne eines „Krieges aus gerechtem Grund in rechter Absicht geführt“. Irgendein guter Wille, der landläufig zerfetzte Afghanen zu Nichtopfern erklärt, weil ihr Tod ja nicht eigentlich gewollt (aber doch zwangsläufig) war, kommt da eben nicht vor. Den so genannten Dreißigjährigen Krieg zum Resultat der Lehre vom bellum iustum zu erklären, zeugt von profundester historischer Unkenntnis. Im Gegenteil, diese Reihe von Kriegen ist in vielerlei Hinsicht das Wetterleuten der Moderne von „Staat und Krieg“ Die darauffolgenden Versuche, Krieg nun rechtlich zu definieren und damit in bestimmten Grenzen gerade zu legitimieren, haben, so der Tönniessche Mythos, Eskalationen verhindert. In schon unverschämter Ignoranz wird so die zunehmend entfesselte staatliche Gewaltanwendung vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis hin zum 20. Jahrhundert mit den offensichtlich nicht allseits bekannten zivilisatorischen Höhen des totalen Krieges ausgeblendet.
Was die so genannten „Menschenrechte“ angeht, würde ein kurzer Blick in einschlägige Quellentexte genügen, um festzustellen, dass sie als Ideologie der weißen Eigentümer zur Inbesitznahme des Restes der Welt stets militärisches „Bestrafen“, vulgo Abschlachten renitenter Kolonialvölker implizierten. Konsequenterweise ist „die“ Moral Weltmoral, haben „die Völker der Erde“ dem amerikanischen „Krieg gegen den Terror“ zugestimmt. Fern der Gedanke, dass Machtpolitik etwas mit sehr einseitigen Interessen zu tun haben könnte, die gut mediendemokratisch eine Menge allgemeiner Moral gebrauchen können. Die aktuellen Weltordnungskriege werden zur „Moralisierung der Gewalt“, „als Fortschritt in der Erziehung des Menschengeschlechts“ mythisiert. Wehe den zu Erziehenden!
Geschichte, teleologisch getrimmt auf die „nichtrevidierbare (!!!) Ethisierung der Weltgesellschaft“, ist eine nicht neue Facette totalitärer Deutungen, die ohne die wirklichen Trümmerhaufen und Leichenberge auskommt, die sie selbst produziert.
Auch solches mag sich im grauenerfüllten Antlitz des Benjaminschen Engels der Geschichte widerspiegeln.
CHRISTOPH VOHLAND, Bonn
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