piwik no script img

Wegwerfprodukte als SchnäppchenBilliger statt „best før dato“

Waren verkaufen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist: Erste Unternehmen im teuren Skandinavien haben damit großen Erfolg.

Sauerkraut z.B. ist noch ein Jahr nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums genießbar Foto: dpa

Stockholm taz | Die fünf 450-Gramm-­Packungen Sauerkraut zusammen gibt es für 10 Kronen (etwa 1 Euro). Das muss man normalerweise für eine Packung zahlen. Der französische Senf kostet statt 39,90 nur eine Krone, die Schokoladenkekse Oboy sind 60 Prozent billiger. Richtige Schnäppchenpreise findet man bei Holdbart, einem norwegischen Unternehmen, das aus derzeit zwei Ladengeschäften und einem Onlineversand besteht und Waren verkauft, die ansonsten weggeworfen werden würden.

„Die meisten unserer Kunden gucken erst mal hier oder auf Face­book, was es bei uns gerade so gibt, bevor sie ihre normale Einkaufstour machen“, sagt Thor Johansen. Das Sortiment bei Holdbart ist nämlich schwankend. Es hängt davon ab, was es auf dem Markt von Waren mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum gerade so gibt. Auf diese und andere Partien, die in normalen Supermärkten nicht mehr verkäuflich sind, habe man sich spezialisiert, erzählt Johansen, einer der beiden Firmengründer und Leiter der Filiale in Vestby nahe Oslo: „Weil das Mindesthaltbarkeitsdatum nahe bevorsteht oder schon abgelaufen ist oder so wie hier bei diesem Käse das Design der Verpackung geändert wurde.“

So ist beim aktuellen Verkaufsschlager Sauerkraut das „best før dato“ schon einige Monate verstrichen. Es war der 1. Dezember 2016 und beim französischen Senf sogar der 21. Oktober 2016. „Wenn da ‚am besten vor diesem Datum‘ steht, bedeutet das ja nicht, dass die Ware einen Tag später schlechter geworden ist“, sagt Johansen und versichert, dass man keine gesundheitlichen Bedenken haben müsse: „Sauerkraut und Senf sind auch ein Jahr nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum so genießbar wie dieser Kauknochen für den Hund, den es nun für 4,90 statt 39 Kronen gibt, weil dessen ‚best før dato‘ vor vier Monaten war.“ Für die bei ihm verkaufte Ware haftet Holdbart wie jeder andere Lebensmittellladen.

In Deutschland trauen sich erst sehr wenige Läden, Lebensmittel zu verkaufen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Die Skandinavier sehen das lockerer. Leicht verderbliche Waren, die den Hinweis „siste forbruksdag“ (letzter Verbrauchstag) tragen, verkaufen die Norweger natürlich nach diesem Datum nicht mehr. Frucht und Gemüse hat man grundsätzlich nicht im Sortiment; allenfalls mal eine Partie mit abgepackten Kartoffeln oder mit Möhren, die Supermärkte wegen ihrer Form nicht haben wollen.

Die Kunden hätten den Vorteil günstiger Preise, man selbst verdiene an dem Geschäft und tue gleichzeitig etwas für die Umwelt

Holdbart, das Ende 2015 den Geschäftsbetrieb aufnahm, hat mittlerweile Verträge mit rund drei Dutzend Lebensmittelproduzenten und Großhändlern. „Wir waren überrascht, welch große Partien uns da angeboten wurden“, erinnert sich Johansen. Anfänglich seien die Kunden und Kundinnen sehr auf das Mindesthaltbarkeitsdatum fixiert gewesen: vor allem die Generation der 25- bis 40-Jährigen. Jüngere und Ältere hätten offenbar die Funktion des Datumstempels besser verstanden, „oder sie sind mutiger“, sagt er: „Und wenn es so billig ist wie bei uns, testet man einfach mal und merkt dann, dass es funktioniert.“ Von einer „Win-win Situation“ schwärmt Johansen: Die Kunden hätten den Vorteil günstiger Preise, man selbst verdiene an dem Geschäft und tue gleichzeitig etwas für die Umwelt, „denn jeder Artikel, der bei uns in den Einkaufswagen gelegt wird, ist einer weniger, der weggeworfen werden muss“.

Das ist auch dem schwedischen Onlineversand Mat­smart ein Dorn im Auge, der Anfang 2014 gestartet war. Die Umsatzkurve zeigt seither steil nach oben, liegt derzeit bei umgerechnet 10 Millionen Euro, und in fünf Jahren hofft man, 100 Millionen Euro erreicht zu haben. „Wir sind nicht unrealistisch und bilden uns nicht ein, das Wegwerfproblem in der Lebensmittelbranche lösen zu können“, sagt dessen Mitbegründer Karl Andersson: „Aber ich bin sicher, dass wir dazu etwas beitragen können, was die Einstellung zu diesen Waren angeht.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Es gibt massenhaft Lebensmittel, die auch noch Monate nach dem Datum problemlos essbar sind.

    Wir haben hier selbst Eingemachtes mit 10-15 Jahren Alter: gut.

    Das Datum sorgt ja auch für mehr Umsatz, dem Hersteller ist es ja wurscht, ob es verkauft oder weggeschmissen wird.

    Die Daten werden ja mit Versuchen unter verschärften Lagerbedingungen und aufgrund Erfahrung ermittelt, da gibt es eine riesige Streuung.

    Habe bei einem Hersteller medizinischer Verbrauchsgüter gearbeitet als Entwickler - das ist oft eine Daumelpeilerei - und dann geht man zugunsten des Gewinns auf Nummer sicher, damit das Zeug nicht ewig im Regal liegt.

    Was verpackt zu lange rumliegt, hält dann schlimmstenfalls geöffnet eben nicht mehr 5, sondern nur 2-3 Tage. Denken darf man noch selbst in unserer Hätschelgesellschaft.

  • Nun, bei uns werden diese Waren dann halt von den Tafeln an Grundsicherungsrentner und andere Bedüftige verteilt. Nur nimmt man es bei uns nicht so genau mit der Kontrolle darüber, ob diese Lebensmittel die Gesundheit der damit beglückten Menschen gefährden können, was ich aus eigener Erfahrung berichten kann. Nun, Hauptsache es wird nichts weggeschmissen. Aber die Mittelschichtmenschen, die das so toll finden, müssen ja keine Wurst, deren Haltbarkeitsdatum mehrere Tage überschritten ist, an ihre Kinder verfüttern. Derartige Waren bekommt man einmal pro Woche, das bedeutet, die werden eventuell erst nach mehreren Tagen verwendet. Ich habe mich dort bei diesen Tafeln oft gefragt, ob etwa die türkischen Mütter, die für ihre vielköpfige Familie dort Lebensmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum abholt, weiss, wie sehr sie aufpassen müssen, wenn sie nicht die Gesundheit ihrer Familien gefährden wollen. Ich fände es eigentlich besser, wenn die Mittelschichtmenschen, denen es so wichtig ist, dass nichts weggeschmissen wird, diesen ganzen Scheiss selber verzehren würden, statt ihn an die unteren Scichten zu verfüttern. Es kotzt mich nur noch an!

    • @vulkansturm:

      Tafeln sehe ich grundsätzlich kritisch.

      Da ist mir so eine professionelle Plattform oder Läden, die die (fast) abgelaufenen Lebensmittel günstig an alle verkaufen wesentlich lieber. Da kauft dann auch die sog. Mittelschicht. Selbst die Tafeln müssen oft noch Sachen wegschmeißen, weil zu viel und zu wenig haltbar, aber nur kleiner Kundenkreis.

       

      Es läuft ja so: Ein Anruf vom Supermarkt bei der Tafel, dass es was abzuholen gibt und dann fährt die Tafel dorthin, egal, was es ist: Ob Tomaten oder Pinnwände, die aus dem Sortiment genommen werden (und auch dort in der Masse keiner benötigt). Das ist nur kostengünstige Entsorgung für die Läden verbunden mit einem einfachen Sozialanstrich, den man dann gleich auch gerne noch mitverkauft: "Wir spenden an die regionale Tafel".

    • @vulkansturm:

      Bei der Tafel bekam ich jede Woche Lebensmittel, die 2 oder 3 Tage über Mindesthaltbarkeitsdatum waren. Diese Lebensmittel bekam man nur einmal pro Woche. Wenn man seine Gesundheit nicht gefährden wollte, dann musste man viele Lebensmittel sofort einfrieren. Was machen aber Familien, die nur ein kleines Gefrierfach haben oder die sich der Problematik dieser Lebensmittel nicht bewusst sind? Sicher können Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen sind, noch geniessbar sein. Man kann sich aber auch eine Lebensmittelvergiftung einfangen. Warum zum Teufel sollen also nur arme Leute ihre Gesundheit riskieren, wenn schon dann bitte lasst diese Waren in den Läden, damit alle in den Genuss dieser tollen Waren kommen.