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Archiv-Artikel

Weg zum permanenten Wachstum

Wer sich für Gegenentwürfe zum neoliberalen Mainstream interessiert, wird von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker mit einer umfassenden Theorie bedient, die verständlich dargestellt ist

VON ULRIKE HERRMANN

Bereits der Titel ist eine Provokation. „Das Ende der Massenarbeitslosigkeit“ haben Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker ihr Buch genannt. Seit mehr als 30 Jahren kämpft Deutschland mit Millionen von Arbeitslosen – und das soll ein Irrtum sein?

An polemischem Selbstbewusstsein fehlt es den Autoren nicht. Ihre eigene Argumentation nennen sie „logisch“, während sie bei ihren Kontrahenten nur „Vorurteile“ und „Irrlehren“ erkennen können. Mit aller Wucht zielen Flassbeck und Spiecker auf die „herrschende Lehre“, wie sie von der Mehrheit der deutschen Ökonomen vertreten wird.

Flassbeck war einst Finanzstaatssekretär bei Oskar Lafontaine und ist jetzt Chefökonom der UN-Entwicklungsorganisation Unctad; Spiecker ist Volkswirtin und arbeitet als Journalistin. Die kompromisslose Radikalität der beiden wirkt manchmal unnötig beleidigend, wenn sie etwa ihre Gegner pauschal zu „Lobbyisten“ und „Bürokraten“ herabwürdigen. Dennoch ist ihr Buch lesenswert: Wer sich für alternative Gegenentwürfe interessiert, wird hier mit einer umfassenden Theorie bedient, die auch für Laien verständlich dargestellt ist.

Zunächst machen sich die beiden daran, die gängigen Erklärungen für die Arbeitslosigkeit zu zertrümmern. Populär ist etwa der Glaube, dass der technische Fortschritt Arbeitsplätze kostet. Anhand sehr einfacher Beispiele zeigen Flassbeck und Spiecker jedoch, dass Rationalisierungen beschäftigungsneutral sind. Der Mechanismus: Wenn die Produktivität steigt, sinken die Kosten pro Stück und damit auch die Preise. Die Realeinkommen legen also zu – für das gleiche Geld können mehr Waren gekauft werden. Das steigert die Nachfrage, es kommt zu neuen Investitionen, neuem Wachstum und neuen Arbeitsplätzen.

Die beiden Autoren haben daher wenig Verständnis für die Gewerkschaften, die Lohnverzicht üben, um Rationalisierungen zu vermeiden. Und genauso wenig Sympathie bringen sie für die neoklassische Mehrheitsmeinung auf, dass es zu begrüßen ist, wenn die Produktivität sinkt, weil mehr Niedrigqualifizierte mit irgendwelchen Handlangerdiensten beschäftigt werden. Denn der technische Fortschritt ist für die beiden nicht ein dummer Zufall des Wirtschaftsgeschehens – er ist der einzige und unabdingbare Motor fürs Wachstum. So paradox es klingen mag: Vollbeschäftigung ist in einer kapitalistischen Wirtschaft nur als Folge von Rationalisierung zu haben.

Allerdings funktioniert diese Kausalität nur störungsfrei, wenn die Arbeitnehmer an den zunehmenden Realeinkommen beteiligt werden. Die deutsche Wirklichkeit sieht jedoch anders aus: Dort regiert Lohnzurückhaltung. Das reale Arbeitseinkommen pro Beschäftigten ist von 1973 bis 2006 nur um 1,5 Prozent pro Jahr gestiegen, während die Produktivität jährlich um 2 Prozent zunahm.

Für den neoklassischen Mainstream ist diese Bescheidenheit der Arbeitnehmer kein Problem, denn in ihrem Weltbild werden die Unternehmer durch steigende Gewinne zu neuen Investitionen motiviert. Dagegen setzen Flassbeck und Spiecker die „deflationäre Abwärtsspirale“. Wenn die Reallöhne langsamer wachsen als die Produktivität – dann können die Arbeitnehmer die zusätzlichen Warenmengen nicht mehr abnehmen. Es kommt eine Kettenreaktion in Gang: Der Absatz lahmt, die Preise fallen, neue Investitionen bleiben aus, das Wachstum stockt, die Arbeitslosenquote steigt. Schließlich, das ist die Ironie dabei, sinken auch die Profite, die doch nach dem neoklassischen Modell mindestens stabil bleiben müssten.

Bei Flassbeck und Spiecker ruiniert die permanente Lohnzurückhaltung jedoch nicht nur die Binnennachfrage – sie bedroht auch den Euro. Durch das Lohndumping nämlich verschafft sich Deutschland Konkurrenzvorteile zulasten seiner Nachbarn. Länder wie Italien, Spanien oder Frankreich, die normale Gehälter zahlen, verlieren immer mehr an Wettbewerbsfähigkeit, während Deutschland zum Exportweltmeister aufgestiegen ist.

Normalerweise würde dieses Missverhältnis zwischen Ein- und Ausfuhren durch die Wechselkurse korrigiert; die deutsche Währung müsste im Außenwert deutlich steigen. Doch das verhindert der Euro. Es wäre jedoch ein Irrtum zu glauben, dass es Deutschland auf Dauer nutzt, Exportweltmeister zu sein. Wenn unsere Abnehmer im Ausland die nötigen Divisen nicht verdienen können, weil wir zu wenig importieren und zu sehr auf Lohndumping setzen, dann werden wir ihnen letztlich Divisen schenken müssen, wenn wir weiterhin exportieren wollen.

Mit der richtigen Wirtschaftspolitik ist permanentes Wachstum möglich, lautet letztlich die Botschaft des Autorenduos. Allerdings ist auch den beiden nicht entgangen, dass ungebremstes Wachstum ökologisch bedenklich ist. Sie widmen diesem Problem sogar ihr letztes Kapitel, was Symbolwert hat und ein mutiger Ausblick hätte werden können. Doch leider beschränken sie sich auf den Hinweis, dass Umweltschutz ohne Wachstum politisch nicht durchzusetzen ist, weil die Bürger nicht verzichten wollen.

Damit dürfte die derzeitige Stimmung zutreffend beschrieben sein. Aber die eigentliche Frage bleibt unbeantwortet, wie unendliches Wachstum in einer endlichen Welt möglich sein soll.

Heiner Flassbeck/Friederike Spiecker: „Das Ende der Massenarbeitslosigkeit. Mit richtiger Wirtschaftspolitik die Zukunft gewinnen“. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2007, 304 Seiten, 24,90 Euro