: Weder moraldurchwirkt noch depressiv
■ Freundlicher Selbsthilfe-Appell für Kinder: Katja Gehrmanns Buch Strandhunde
Wenn es nach dem braven, immer latent von Moral durchwehten Gutbürger-Deutschen ginge, müss-te dieses Buch eine ganz andere Geschichte erzählen: Moralisierend hat eine Handlung wie die zu sein, die Katja Gehrmann in ihrem Kinderbuch Strandhunde entwi-ckelt; vor Mitleid zerfließen mit dem ausgesetzten Hundeprotagonisten müsste tunlichst der Mensch. Nur wird bei solchen Forderungen oft übersehen, dass, wer solch pauschales Mitleid erfährt, irgendwann auch zum handlungsunfähigen Opfer degradiert wird, das sich selbst nicht helfen kann.
Warum also nicht mal anderes propagieren, etwa nach dem Motto: Weg von der Opferrolle, auf in die weite Welt und das Beste machen aus der anfangs misslichen Lage. Ein Credo, das zwar in der brutalen Realität nur bedingt für Kinder gilt, aber zur Abwechslung zwischen all den – angeblich erwachsen machenden – Hiobsbotschaften auch mal ganz erholsam ist.
Also: Ausgesetzt von seiner Familie wird der Hund Finn in Katja Gehrmanns Buch Strandhunde. Einen Baum soll er sich suchen, der Hund, der zwar gar nicht muss, aber den Menschen den Gefallen tut und ein Stöckchen sucht. Nur dass sich – die Geschichte ist konsequent aus Perspektive des Hundes erzählt – keine Spur des Autos mehr findet, als er zurückommt, und dass er sich auf die Suche nach etwaigen Spuren der Zivilisation jenseits der Autobahn begibt. Und siehe: Am Strand endet der Weg des ganz und gar nicht depressiven Finn, zwischen anderen ausgesetzten Hunden, die auf verschiedene Art damit fertig werden: Einer findet Alleinsein besser, ein anderer rät, zum Familienvermittler Benson zu gehen. Ein bisschen traurig wird Finn zwar, als er merkt, dass seine Familie ihn verlassen hat, aber schließlich entscheidet er sich doch, ein paar Musterfamilien anzugucken: „Du musst überlegen, wer zu dir passt“, sagt Benson. Aber egal, was er Finn zeigt – es gefällt ihm nicht. Ein Beweis für die Unmöglichkeit, das Leben selbst zu gestalten? Ein dezenter Hinweis darauf, dass Schein und Sein grundsätzlich so stark auseinanderdriften, dass man sich unmöglich für das Passende entscheiden kann? Oder ist dies einfach nur die Geschichte eines sturen Hundes, der sich nicht entscheiden will, weil er so auch nicht verantwortlich wird?
Wie auch immer – der einzige aktive Versuch, eine Familie zu finden, scheitert an der Wut des zugehörigen Familienvaters – und so gibt sich Finn schließlich minutenlang der Wut, Trauer und Resignation hin, ohne dass Text und Bilder des wohltuend unperfekten, kindgemäß gezeichneten Buches deshalb ins Sentimentale abdrifteten. Er legt sich schließlich am Hafen schlafen und wacht irgendwann als Bootshund wieder auf.
Ob's jetzt gut für ihn war? Letztlich ist er jedenfalls zufrieden und hat vielleicht eins verstanden: Weniges ist steuerbar im Leben, und am passendsten sind oft die Lösungen, die en passant vorbeiflanieren. Und was zuerst mittelscheußlich aussah – auf dem Boot, auf dem er erwacht, wird Finn erstmal schwindlig – kann sich doch als passabel entpuppen. Ein Plädoyer für einen gelassenen Pragmatismus, den man der 1968 geborenen Katja Gehrmann, die in Mexiko, Spanien und Hamburg studierte und 1995 in Bologna den UNICEF-Bilderbuchpreis bekam, ohne weiteres glaubt. Petra Schellen
Katja Gehrmann: Strandhunde, 32 Seiten, 26,90 Mark
Präsentation Donnerstag, 19 Uhr, Galerie Kunststück, Amandastraße 44
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