Wedding verunsichert

Die geplante NPD-Demonstration wurde vom Bundesverfassungsgericht in letzter Minute verboten. Dennoch war es ein unruhiger Samstagmorgen im Wedding, selbst als der Grüne Ströbele auftauchte

VON WALTRAUD SCHWAB

Die Nazi-Demo im Wedding wurde am Samstagmorgen um 10 Uhr auch vom Bundesverfassungsgericht verboten. Zuvor hatten schon das Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht in Berlin den Aufmarsch untersagte. In Windeseile verbreitete sich die Nachricht unter den wenigen, vor dem S-Bahn-Eingang auf der Bornholmer Brücke wartenden Menschen – Polizisten, Fotografen, DemokratInnen unterschiedlicher Couleur.

„Endlich wird Volksverhetzung auch als Volksverhetzung bezeichnet“, sagt Kenan Kolat vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg, der mit ein paar Kollegen auf der Brücke wartete. Eine Gruppe schwarz gekleideter Polit-Punks ist ebenfalls höchst überrascht, dass der Staat, „dieses missratene Miststück“, zu so einer guten Entscheidung fähig sei. Bislang hatten Gerichte NPD-Aufmärsche nämlich meistens erlaubt. Muctar Kamara, Sprecher des Migrationsrates, freut sich auch. Auf seine ebenholzfarbene Haut angesprochen, bestätigt er, dass er schon mehrmals von Deutschen, die Zivilcourage gezeigt hätten, vor Rassisten gerettet wurde. Selbst der Polizeisprecher bekundet Erleichterung. Nur dem Putzmann, der stoisch den S-Bahnhof sauber macht, war’s egal, für wen er wische: „Dreck bleibt Dreck.“

Ab 9 Uhr wollten sich die Nazis ursprünglich auf der Brücke treffen und die Bornholmer und Osloer Straße entlang ziehen bis zum Louise-Schröder-Platz. „Berlin bleibt deutsch“ und „Gegen islamische Zentren“ lauteten ihre Slogans. Die Rechten, bis zu 1.000 wurden erwartet, wollten mitten durch ein Wohngebiet ziehen, in dem 50 Prozent der Bevölkerung nichtdeutscher Herkunft ist. Viele davon Muslime. Zudem lag am Rand der Route auch das Jüdische Krankenhaus. Der Nazi-Aufmarsch wäre eine ungeheure Provokation gewesen. Zumal an diesem Wochenende das jüdische Versöhnungsfest Jom Kippur gefeiert wurde.

Bundesgrenzschutz und Polizei hielten die Bornholmer Brücke abgesperrt. „Dit is wejen die Änn Pee Dee“, zieht ein Weddinger den Namen der Partei in die Länge. Er sieht aus, als hätte er eine lange Nacht im „Eulereck“ nicht weit von hier in der Eulerstraße hinter sich. Jetzt steht er kopfschüttelnd vor der Absperrung unweit der Räumpanzer, die ebenfalls vorsorglich aufgefahren wurden. „Die braune Brut kommt wieder aus die Löcher jekrochen“, sagt er und beginnt fast zu weinen, weil es ihn an früher erinnert. „Ick hab dit noch erlebt mit die Bomben, die Toten, die janze Notlage“, sagt er.

Solange die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Schwebe war, war es Nazis verboten, hier oder anderswo in der Stadt, aufzumarschieren. Dies ging aus der Verbotsverfügung des Senats hervor, die danach von allen gerichtlichen Instanzen bestätigt wurde. Vorausgegangen war allerdings vehementes Kopfschütteln, denn noch am Donnerstag, als die von der Polizei genehmigte Demoroute bekannt wurde, schloss Innensenator Körting ein Verbot aus und dies, weil der Aufmarsch angeblich weitgehend durch einen unpolitisierten Kiez ziehen wollte. „Das kann nicht sein, dass man eine Demo zulässt, mit der Begründung, der Wedding sei nicht politisch“, schüttelt Hasan Kuzu, ein Sozialarbeiter, den es an diesem Morgen ebenfalls umtrieb, den Kopf. „In diesem Land gibt es genug politische Kräfte gegen die Rechten. Man müsste nur wieder zusammenkommen. Wir haben alle ein bisschen geschlafen.“

Zivilgesellschaftliche Gruppen hatten sofort nach Bekanntwerden der Demoroute der Nazis zu Gegenveranstaltungen aufgerufen. Die Demonstration der Antifaschistischen Linken Berlin und des Bündnisses Gemeinsam gegen Rechts findet statt. Annähernd 1.000 Leute ziehen durch den Wedding. Ein paar Gewerkschaftsjugendliche sind darunter. Die Leute vom Türkischen Bund, die vorher auf der Bornholmer Brücke waren, reihen sich ebenfalls ein. „Wo aber ist der Regierende?“, fragt Klaus Dieter Steinicke, einer der wenigen älteren Demonstranten. „Alle Demokraten, die gegen das braune Pack sind, müssten hier stehen. Das ganze Abgeordnetenhaus. Kein Fußbreit den Nazis.“ Nur Ströbele von den Grünen taucht auf. Er findet, dass das Vorgehen richtig war. Nicht generelles Parteiverbot, sondern ganz konkretes Hinhören und konkretes Einschreiten brächten Erfolg. Die Justiz brauche Gründe, um Grenzen zu setzen. Die NPD liefere sie zuhauf.

Raschen Schritts zieht die Antifa-Demo durch ein paar Seitenstraßen rund um die Pankstraße. „Nazis, Nazis, Nazis. Raus! Raus! Raus!“ und „Hoch die internationale Solidarität!“ werden skandiert. Die Weddinger und Weddingerinnen stehen interessiert auf ihren Balkonen. Ob sie wissen, wer vor ihnen auf der Straße vorbeizieht, ist nicht klar. Wie er die Demo finde, wird ein türkischstämmiger Mann vor einer Wäscherei gefragt. „Das find ich toll!“

Dass die NPD nicht zu unterschätzen ist, was mittlerweile Politiker wie Wolfgang Thierse (SPD) auch verstanden haben, und dass die Zivilgesellschaft aufwachen sollte, zeigt die Reaktion der NPD auf das Verbot. „Ausländer scheinen hierzulande mehr Rechte zu haben als Deutsche“, teilte die Partei mit und kündigte weitere Proteste an.