Wasserbetriebe I: Senat nassgemacht
Abgeordnete dürfen die Unterlagen des Senats über die Privatisierung einsehen, sagt das Verfassungsgericht. Rot-Rot muss Geheimhaltungspraxis aufgeben.
Der Verfassungsgerichtshof hat dem Senat ein paar schallende Ohrfeigen verpasst. Sie gaben der Grünen-Abgeordneten Heidi Kosche Recht, die Einsicht in alle Unterlagen rund um die Privatisierung der Wasserbetriebe verlangt hatte. Die Argumente, mit denen der Senat dies abgelehnt hatte, seien völlig unzureichend, urteilten die neun Richter am Mittwoch einstimmig. Das bedeutet, dass die bisher praktizierte weitgehende Geheimhaltung bei Verträgen zwischen Senat und privaten Unternehmen so nicht mehr funktionieren wird. Kosche hofft, in den Unterlagen Argumente zu finden, mit denen die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe rückgängig gemacht werden kann.
1999 hatte die Koalition von CDU und SPD unter Eberhard Diepgen knapp die Hälfte der Anteile an den Wasserbetrieben verkauft (siehe Kasten). Dies war bereits damals hochumstritten. Derzeit setzt sich die Initiative "Berliner Wassertisch" für eine Offenlegung der Verträge ein, was der Senat bislang verweigert.
Die Grünen-Abgeordnete Kosche durfte in einem besonders geschützten Raum zwar den Vertrag lesen, sie darf die Informationen aber nicht weitergeben. Den Einblick in weitere 120 Aktenordner mit Informationen rund um das Geschäft lehnte der Senat ab: Dadurch werde angeblich der "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" verletzt beziehungsweise es gebe "überwiegende private Interessen an der Geheimhaltung".
Der Verfassungsgerichtshof entschied nun, dass diese Begründungen des Senats unzureichend sind. Die Ablehnung der Akteneinsicht sei lediglich "pauschal und formelhaft" erfolgt. Stattdessen müsse der Senat für jede einzelne Information, die geheim bleiben soll, ausführlich abwägen und begründen.
Nun muss der Senat erneut prüfen, wie viele Akten er Kosche zeigt. Eine Vorgabe des Gerichts gibt es dazu nicht. Es machte aber deutlich, dass es im Ergebnis schon weitgehende Offenheit geben muss. So gelte etwa der Datenschutz im Prinzip auch für Unternehmen. Doch er wiege nicht automatisch schwerer als das Recht auf Akteneinsicht. Denn gerade bei der Privatisierung eines landeseigenen Unternehmens müssten die Käufer sich durch das besonders hohe öffentliche Interesse auch auf ein hohes Maß an Transparenz einstellen. Zudem dürfe der Senat nicht einen gesamten Aktenordner unter Verschluss halten, bloß weil einzelne Seiten geheimhaltungsbedürftige Informationen enthalten.
Das Urteil bedeutet, dass Rot-Rot seine bisherige Geheimhaltungspraxis nicht mehr aufrechterhalten kann. Wenn es um die Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen ging, berief das Land sich bisher gerne auf vermeintliche Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder auf Geheimhaltungsklauseln in den Verträgen. Das Gericht hat auch die Schranken hoch gehängt, falls der Senat die Abgeordneten nur vertraulich in die Unterlagen einsehen lassen will. Kosche geht deswegen davon aus, dass sie diesmal auch in aller Öffentlichkeit berichten darf, was sie in den Unterlagen liest. Vor allem freut sie sich darüber, das Gericht dem Senat "deutlich attestiert hat, wie schlampig er gearbeitet hat". Ein Sprecher der Finanzverwaltung sagte, man werde das Urteil zügig umsetzten und der Abgeordneten schnelle Akteneinsicht geben.
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