piwik no script img

Archiv-Artikel

Was wir von Ein-Euro-Jobs halten

Die Zuversichtliche

An der Seele hängt doch immer alles. „Das war einmalig, wie die Leute mich hier aufgenommen haben“, sagt Patricia Smith und strahlt, „ich kriege die Schlüssel in die Hand, ich gehe alleine in den Keller, wo die Materialien liegen. Dieses Vertrauen ist wie Schlagsahne“.

In der Kindertagesstätte „Tausendfüßler“ in Berlin-Rudow hat Smith einen Ein-Euro-Job. Ein-Euro-Jobs können Langzeitarbeitslose jetzt schon freiwillig annehmen, ab dem neuen Jahr sind sie dazu verpflichtet.

Sie ist die einzige Ein-Euro-Jobberin unter 21 ErzieherInnen. Ein Balanceakt fürs Selbstwertgefühl. Aber Smith fühlt sich nicht nur geduldet, sondern willkommen. „Die Kita-Leiterin hat mir gleich gesagt, welche Hilfe sie am dringendsten braucht.“ Seit zwei Wochen bastelt die 46-Jährige jetzt mit den Hortkindern, schneidet Goldpapier zu, steckt Weihnachtskränze, hängt Lichter in den Fenstern auf. „Zusätzlich“ zu den Tätigkeiten der ErzieherInnen muss die Arbeit wirken, Smith übt deshalb nur Hilfstätigkeiten aus. Sie räumt das Geschirr in die Maschine, kocht Kaffee und Tee beim Kita-Fest.

„Ich war schon immer eine Allroundkraft“, sagt die energisch wirkende Frau mit den kurzen roten Haaren und dem hellrosa geschminkten Mund. Mit anpacken, sich aber gleichzeitig einrichten können auch in schlechten Zeiten, das ist Smiths Grundqualifikation. „Natürlich war es eine Umstellung, dass ich jetzt nur für 1,50 Euro die Stunde arbeite. Ich habe schließlich früher gutes Geld verdient.“

Smiths Lebenslauf ist eine Geschichte vom Niedergang oder vom Überleben – ganz wie man es sehen will. Die gebürtige Engländerin kam vor mehr als 30 Jahren nach Berlin, schloss nie eine richtige Berufsausbildung ab, arbeitete sich als Selfmadefrau von der Küchenhelferin bis zur Leiterin einer Kantine hoch, machte dann in einem kleinen Hotel sowohl die Buchhaltung als auch die Betten. 2.900 Mark netto hat sie damals verdient. Aber nach Firmenpleiten und zwei Bandscheibenvorfällen wurde sie langzeitarbeitslos. Auch eine Weiterbildung zur Kassiererin verhalf ihr nicht zu einem Job, alle Bewerbungen wurden abgelehnt. „Jetzt bin ich älter, übergewichtig und unwichtig für die Gesellschaft“, sagt Smith und lacht, „na ja, ist nur mein englischer Humor.“

30 Stunden in der Woche jobbt sie jetzt in der Kita, bei 1,50 Euro die Stunde macht das zusammen 198 Euro im Monat. Mit ihrer Arbeitslosenhilfe ergibt das ein Monatseinkommen von rund 500 Euro. Ihr Mann arbeitet als Maschinenreiniger. Das Paar lebt mit der elfjährigen Tochter in einer Zweizimmerwohnung. Auto und Urlaubsreise sind nicht drin. „Wir leben zwar bescheiden, aber ich habe nie Schulden gemacht. Darüber bin ich froh.“

Dass aus der neunmonatigen Beschäftigung in der Kita ein richtiger Job werden könnte, glaubt sie nicht. Trotzdem „habe ich danach vielleicht bessere Chancen, weil ich ja wieder in Kontakt mit Menschen komme“. Und überhaupt, es ist alles eine Frage der Alternativen. Zu Hause rumsitzen sei das Schlimmste. Auch wegen der Tochter. „Die soll sehen, dass ich arbeiten gehe. Man will ja Vorbild sein.“ Schließlich, scherzt Smith, „habe ich am gleichen Tag Geburtstag wie Prince Charles.“

BARBARA DRIBBUSCH

Der Ablehner

Franz Hellmer ist ein ordentlicher Mann. Deshalb weiß er auch genau, wie viele Bewerbungen er abgegeben hat: 332 schriftliche und 224 mündliche. Wer mit dem Arbeitsamt zu tun habe, sagt Franz Hellmer, müsse immer über jeden Schritt und seine Rechte Bescheid wissen. „Ich weiß, wie man eine Akte anlegt.“

Er ist jetzt 62 Jahre alt, Schlosser, Maschinenbau-Ingenieur und arbeitslos. Hellmer heißt er nur in diesem Artikel, er möchte nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen. Und er lässt sich nur von hinten fotografieren, sonst bekommt er am Ende noch Ärger mit dem Amt. Er sagt noch Amt, nicht Arbeitsagentur.

Im September hat die Arbeitsagentur dem Ostberliner einen so genannten Ein-Euro-Job angeboten. „Ein Witz“, wie Hellmer findet. Als er sich vor zwei Jahren um eine Weiterbildung bemüht habe, habe es beim Amt geheißen, er sei zu alt für den ersten Arbeitsmarkt. „Jetzt sollen mit dem Ein-Euro-Job angeblich meine Chancen auf Vermittlung steigen, da stimmt doch was nicht.“

Den potenziellen Arbeitgeber, eine Beschäftigungsagentur, hat sich Hellmer dennoch angeguckt. 1,50 Euro pro Stunde sollte er bekommen, bei 30 Stunden pro Woche. Die Arbeitsaufgabe – beliebig: Helfer für Hausmeister, Garten und Grünanlagenpflege, Reinigungskraft in sozialen Projekten, Kinder- oder Seniorenbetreuung wären möglich gewesen. Eine Qualifizierung wurde nicht angeboten.

Für Hellmer war sofort klar: „Das mache ich nicht, 40 Jahre Berufserfahrung sind nicht so billig zu bekommen.“ Als er auf dem Arbeitsamt den Job – noch ist er freiwillig – ablehnte, habe ihm die Sachbearbeiterin noch hinterhergerufen, dass dies ab Januar aber nicht mehr so leicht sei. „Warten wir’s ab“, brummt Hellmer. Er hat seine Prinzipien – er kann sie sich leisten. Noch ein paar Monate, dann wird er in Rente gehen, dann lässt ihn das Arbeitsamt in Ruhe. Einen lebenslangen Rentenabschlag von rund neun Prozent nimmt Franz Hellmer dafür hin: „Besser als 345 Euro pro Monat kriegen.“

Rund 40 Jahre hat er gearbeitet. Mit 15 begann er eine Lehre als Schlosser in einer Ostberliner Werkzeugmaschinenfabrik. Neben dem Beruf machte er seinen Meister, später wurde er Ingenieur. Nach der Wende blieb er in der Firma, wechselte in die Betriebsorganisation. 1996 wurde er im Zuge des allgemeinen Personalabbaus entlassen, eine Abfindung gab es nicht. Zunächst machte er eine Umschulung in den kaufmännischen Bereich. Aber alle Bewerbungen blieben erfolglos, sogar bei Zeitarbeitsfirmen. Oft sei er „der Alibi-Alte“ auf dem Haufen der Bewerbungen gewesen, vermutet er. „Bei einer mündlichen Bewerbung spürt man das sofort. Sage ich mein Geburtsdatum, ist plötzlich Stille in der Leitung.“

Übrig blieben zwei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – und die Mitarbeit in einer gewerkschaftlichen Erwerbsloseninitiative. „Ich will etwas Vernünftiges machen.“ Dass der seit längerem geschiedene Mann nicht wie viele andere Langzeitarbeitslose in Depressionen verfällt, ist wohl auch seinem gesellschaftlichen Engagement zu verdanken. Gerade hat er ein Erfassungsformular für Ein-Euro-Jobs entwickelt. So wollen Hellmer und seine Kollegen auf dem Laufenden bleiben: wo welche Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden, ob zuvor andere Arbeitsplätze abgebaut wurden, ob es die versprochenen Qualifizierungen tatsächlich gibt. Und bei Bedarf weitere Proteste organisieren. „Hartz IV schafft keine Arbeitsplätze, sondern Armut“, sagt er. Statt mit mehr als 800 Euro Arbeitslosenhilfe muss er mit 542 Euro im Monat auskommen.

Dass manche Betroffene einen Ein-Euro-Job als „letzten Strohhalm“ ergreifen, um sich das Einkommen etwas aufzubessern, kann Hellmer sogar verstehen. An seiner Ablehnung ändert das aber nichts. „Die Regierung will damit nur die Statistik bereinigen und uns Arbeitslose unter Druck setzen.“ RICHARD ROTHER

Die Vermittlerin

Wer zwölf Jahre im Geschäft ist, der kennt seine Pappenheimer. Der weiß, dass es bei den Beschäftigungsmaßnahmen auf zweierlei ankommt: Erstens die Menschen. Und zweitens die Details. „Zum Beispiel die Sache mit den Fahrtkosten“, sagt Gabriele Spiller-Kup, „das ist ein echtes Problem.“

Dutzende von Arbeitslosen hat die Geschäftsführerin der gemeinnützigen Bildungs- und Beschäftigungsgesellschaft Bibeg schon zum Vorstellungsgespräch in den Backsteinbau nach Berlin-Köpenick geladen, um sie als so genannte Ein-Euro-Jobber an Kindertagesstätten zu vermitteln. Die Bewerberinnen und Bewerber werden von der Arbeitsagentur geschickt. Oft stellen sie eine Bedingung: Die Kita muss zu Fuß von zu Hause aus erreichbar sein. Denn für die Jobs bekommen sie 198 Euro monatlich, zusätzlich zur Arbeitslosenhilfe. Eine Monatskarte für die U-Bahn kostet aber schon 64 Euro. „Da sagen die Leute, das lohnt sich nicht.“

Spiller-Kup ist Expertin für das, was ist. Nicht für das, was Politiker gerne an positiven Meldungen verkünden würden. 1992 fing die Diplom-Wirtschaftsingenieurin als Geschäftsführerin der Bibeg an, nachdem sie ihren Job in der abgewickelten Akademie der Wissenschaften der DDR verloren hatte. Seit einigen Jahren nun beobachtet sie den Wandel von der alten ABM-Kultur hin zu den heutigen Billigmaßnahmen. „Früher hatten wir noch viele ABM für Akademiker, die machten zwei Jahre ABM, danach noch drei Jahre SAM, dann gingen die in Rente. Die Leute hatten noch eine Perspektive, die waren motiviert, die waren nicht krank, die waren pünktlich.“

Ihre Klientel hat sich gewandelt. Sie hat immer mehr Leute, die lange arbeitslos sind oder die keine Ausbildung haben. Nur eine Minderheit der Leute freue sich, wenn sie einen Ein-Euro-Job in einer Kita angeboten bekommen. „Manche sagen, ich kann mit Kindern gar nicht arbeiten. Andere fragen nur: Was passiert mir, wenn ich das nicht annehme? Und der Krankenstand ist unglaublich.“

Trotzdem will Spiller-Kup nichts auf die Erwerbslosen kommen lassen. Die Bibeg-Vermittlerin mit den langen roten Haaren und den blitzenden blauen Augen hinter der Goldrandbrille klingt beinahe mütterlich, wenn sie über ihre Klienten spricht. „Immer mehr Leute sagen mir, sie hätten psychische Probleme, sie könnten gar nicht mehr so viele Stunden unter Menschen oder gar in einer Kita sein.“ Und das, davon ist Gabriele Spiller-Kup überzeugt, sei sicher nicht gelogen. „Wer viele Jahre keine Arbeit hat, kriegt doch ’ne Klatsche.“ 198 Euro bekommen die Ein-Euro-Jobber für eine 30-Stunden-Woche. Offiziell heißen die Stellen daher auch MAE, das steht für Mehraufwandsentschädigungs-Maßnahmen. Für die Betreuung, Verwaltung und Akquise dieser Jobs über die Bezirksämter und in den Kindertagesstätten erhält die Bibeg pro Teilnehmer bis zu 300 Euro im Monat.

Ab Januar ist die Teilnahme an den Ein-Euro-Jobs dann nicht mehr freiwillig. Die Vorstellungsgespräche wird das vermutlich beeinflussen. Gabriele Spiller-Kup bleibt gelassen: „Mal sehen, auf was für einen Dreh die Leute kommen.“

BARBARA DRIBBUSCH