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Was war'n wir damals subversiv!

■ Traditionspflege im Schmidt mit „Wetten, das ist Frau Witten!“

Rosen, die niemals verwelken, ranken an der Wohnzimmerwand, Plastikherzen, die leuchten könnten, baumeln vor der Gardine, und auf der Decke, die Frau Schmidt nonchalant übers Tischchen wirft, sind die Kaffeetassen gleich angeklebt. Nach nostalgischem camp-as-camp-can müffelt–s im Schmidt-Theater. Der Schwank Wetten, das ist Frau Witten, der dort seit Donnerstag über die Bühne geht, hat ja schon 15 Jahre auf dem Buckel.

Gunter Schmidt ist wieder die penetrant kieksende Frau Schmidt und Corny Littmann Herr Witten mit stets – mal ängstlich, mal angewidert – herunterhängenden Mundwinkeln. Vom Glitzerkopftuch gedeckelt, seufzt anfangs die Spießer-Schmidt: „Keine Menschenseele auf der Straße, nur Ausländer.“ Und natürlich wagt sich am Ende der schwule Witten doch, ein selbstbewußtes Couplet darüber zu schmettern, wie verdammt homosexuell er ist. So beleben die beiden plaudernd und trällernd nun die Tradition des schwulen Volkstheaters, mit dem sie zu Beginn der 80er gegen Terroristenhatz, Neue-Heimat-Abzocker, Hitparaden-Heck und verklemmte Bürgerlichkeit stichelten. Zu verstehen sind die meisten Gags auch heute noch, wenngleich sie die Patina langsam verblassender Erinnerungen angesetzt haben.

Aus Spaß hätten sie das Stückchen wieder ausgegraben, sagen die zwei, die aus der Subkultur kamen, zur Wiederaufnahme. Littmann, mittlerweile erfolgreicher Theater-Unternehmer, und Schmidt, eine Hälfte des mit Kleinkunstpreisen ausgezeichneten Kabarett-Duos Herrchens Frauchen, gehen mit Frau Witten und ihrem Publikum auf eine Zeitreise. Denn wenn mensch Tratsch im Treppenhaus vom Ohnsorg-Theater gerne – zumindest auf Video – wiedersehen möchte, dann liegt es nahe, auch einen dieser schwulen Schwänke, die einst Homos und Heten zu befreiendem Gelächter im deutschen Herbst verhalfen, auferstehen zu lassen.

Ja, da war doch noch was vor dieser „geistig-moralischen Wende“, die ein noch heute amtierender Saumagen-Kanzler einstmals auszurufen geruht hatte. Zeitvergleiche drängen sich auf. Zwar fassen Politiker und Bonzen den kleinen Leuten heute dreister denn je in die Tasche, doch hat sich an der Stimmung im Lande durchaus ein bißchen geändert. Gewann Nicole zu Nato-Doppelbeschlußzeiten den „Grand Prix de la Chanson“ mit „Ein bißchen Frieden“, so gehört heute ein anständiger Tuntenchor oder eine singende Madame Gigi auf jedes provinzielle Schützenfest. Und bespielte die Familie Schmidt vor einem Dutzend Jahren die Kampnagelfabrik, so kehren heute Reeperbahn-Flaneure aus der norddeutschen Tiefebene im schicken Schmidt oder Tivoli ein, um sich zu amüsieren. Die sexuelle Unbeschwertheit jener Tage aber ist durch die die Seuche mittlerweile verdorben.

Littmann/Schmidt blicken auf ihre Wurzeln zurück und bringen Nostalgisch-Subversives auf die Bühne, über die heute meistens mehr unpolitische Spielarten der Comedy und Operette rauschen. Nach diesem – am Donnerstag abend mit reichlich Gelächter, Applaus und Blumen belohnten – Blick in die Historie, steht zu hoffen, daß das Schmidt-Theater seine selbsterfundene Tradition aufrechten schwulen Volkstheaters mal wieder für die Jahrtausend-Endzeit transformiert – na gut, die Rosen dürften zu diesem Behufe ruhig noch mal recycelt werden.

Julia Kossmann

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