: Was wäre geschehen wenn...?
■ „Schwarzenberg“ und „So entstand die Bundesrepublik“, 7. und 8. Mai, ZDF
Am Ende werden wieder die Bilder aus dem Rahmen genommen, das Foto vom Schloß weicht einem Porträt des Genossen Stalin, wie Wochen zuvor das Hitlerbild dem Schloß weichen mußte. Sieben Wochen liegen dazwischen, sieben Wochen eines Experimentes, in dem das antifaschistische Aktionskomitee Schwarzenbergs den Traum einer freien Republik zu realisieren sucht. Aber er zerschellt an Interessen, die in dieser Zeit - die Stunde Null hat man sie unzulässiger Weise genannt - durch andere Faktoren bestimmt waren als durch Utopien. Das ist beiden Produktionen gemeinsam, daß sie ausloten, hier fiktiv, dort real, was hätte sein können, wenn...
Was hätte sein können, wenn die Russen die 500 Quadratkilometer im Erzgebirge nicht schließlich doch besetzt hätten? Hätte das Experiment eines Staates, der dem demokratischen Sozialismus verpflichtete war, wie das fiktiv in Stefan Heyms Buch Schwarzenberg beschrieben wird das Buch diente als Vorlage für diesen Fernsehfilm -, bestand gehabt? Man weis es nicht, aber das Vertrauen in die hehren Ziele der Sowjetmacht, das die am Aufbau beteiligten Kommunisten und Sozialisten hatten, wurde nicht erst durch den Einmarsch der Roten Armee zerstört, der Zweifel setzte früher ein. So, als Kadlitz ungläubig von seiner Geliebten, einer russischen Kriegsgefangenen, von Lagern, Verhaftungen und Verfolgung erfährt. Zur Gewißheit wird er, als dieselben Gefangenen in plombierten Eisenbahnwaggons zurück in die Heimat gebracht werden. „Sie stellen zu viele Fragen“, ist die lapidare Antwort des Genossen Hauptmann auf die Frage, was das denn solle.
Schnörkellos und wenig spekulativ hat Eberhard Itzenblitz die Story in Szene gesetzt, dabei allerdings fast kein Vorurteil ausgelassen, den Stoff an den Zuschauer zu bringen. So ist die Frau des Gauleiters, den man sucht, natürlich eine dicke Vettel und noch am frühen Morgen sturzbesoffen, und natürlich sitzen die Russen folkloristisch am Feuer, singen, tanzen und spielen Schifferklavier. Und natürlich sind die amerikanischen GIs hochgebildet, geradezu intellektuell und sprechen ein vorzügliches Deutsch. Ganz zu schweigen von den Arbeitern, den Hauptprotagonisten, die so außerordentlich lieb, brav und rechtschaffen sind, auch wenn sie mit ihrer roten Fahne die Rathaustreppe emporstürmen, um den alten Bürgermeister abzusetzen. Da muß man wirklich fragen: Wie konnte an diesen blitzsauberen Gesichtern all das Grauen und die Not, KZ und Verfolgung nur so spurlos vorbeigehen? Mit Ausnahme von Max Wolfram, dem Intellektuellen („Ich habe wissenschaftlich über Utopien gearbeitet“), der nun aber das Leid nun gar nicht mehr herausbekommt aus seinem Gesicht.
Trotz allem hat dieser Fernsehfilm sich kongenial ergänzt zum anschließenden Bericht über die Entstehung der Bundesrepublik, mit der das ZDF den 40. Geburtstag des „Provisoriums“ filmisch begleitet. Aber nicht der Frage, was wäre wenn? sind Guido Knopp und Ulrich Lenze nachgegangen, sondern sie haben gefragt, was war da vorgesehen anstatt der Teilung, mit der wir uns schließlich abgefunden haben. Denn, so ein Fazit des Berichtes, es hätte durchaus anders kommen können.
Hier wurde anschaulich mit historischem Material, mit Interviews der Weg der Politik der Alliierten belegt. Der Verlust der Utopien, der von einer totalen Zerschlagung des deutschen Reiches reichte - Basis für den Morgenthau-Plan, der aus Deutschland ein Weizenland machen wollte - bis zur materiellen Unterstützung, damit die Schornsteine wieder rauchen. Und die Einsicht der russischen Gesprächspartner, dank Glasnost und Perestroika, daß der Abtransport all des alten Eisens, Reparationskosten, wohl auch mit zur technologischen Rückständigkeit der Sowjetunion beigetragen habe, sie kommt zu spät. Ebenso wie diejenige, daß die Blockade Berlins ein Fehler war, aber, was sollte man tun, mit all dem alten Geld, das nach der Währungsreform in den Osten schwappte? Schließlich die Luftbrücke, durch die aus den Besatzern Freunde wurden und aus den Nazis Verbündete. Das alles hat der Bericht präzise und genau geschildert. Einzig der rasante Utopieverlust der frisch gegründeten Parteien, anfänglich noch vom antifaschistischen Kampf geprägt, kam ein wenig zu kurz.
Und so gab das Fazit von Knopp und Lenze, daß es wohl die Teilung war, die dazu beigetragen habe, daß sich das Provisorium als so dauerhaft stabil erwiesen habe, indirekt eine Antwort auf die Frage, was geschehen wäre, wenn das Experiment einer freien Republik Schwarzenberg hätte realisiert werden können. Das utopische Gebilde wäre, das war bereits nach kurzer Zeit erkennbar, an seinen eigenen An - und Widersprüchen gescheitert. Trotzdem, es lebe die Utopie.
ks
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen