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Was tun?

■ betr.: "What is left?" (Thesen zur Identitätsdebatte der Linken) von Ralf Fücks, taz vom 10.11.90

An die Verwaltung für die Neuen Grundwahrheiten: Gestatten Sie mir ein paar unwürdige und ungebührliche Anmerkungen zum bewunderungswürdigen Neunpunkte-K.o.- Sieg des Exgläubigen Ralf Fücks über „den“ Sozialismus.

1.Fücksens Originalton: „Wir erleben... das Ende des Sozialismus als einer geschichtsmächtigen Idee.“ Er mag das so erleben, das Gefühl kann ihm keiner nehmen. Aber warum „wir“?

2.Das Reich des Bösen ist an allem schuld: „Was jetzt an aggressivem Nationalismus hochkocht, ...bringt nur zutage, was bisher ...genährt wurde.“ Reicht es nicht, wenn das stalinistische System an Massengräbern schuld ist, muß es auch noch für den Nationalismus verantwortlich sein? Gab es da nicht eine sehr vitale andere „Gesellschaftsformation“ (klingt marxistisch: pfui!), die seit Jahrhunderten einige (natürlich nur ganz wenige) Massengräber hervorbrachte?

3.Wer nur gegen die inzwischen als ungefährlich erkannten US-Mittelstreckenraketen demonstrierte, aber nicht gegen den Uranabbau in der DDR (Australien und Südafrika sind so schön weit weg), war unausgewogen. Da hat Ralf Fücks ja so Recht.

4.Fücks sieht niemanden, der eine sozialistische Utopie formulieren könnte: „Wir können nicht mehr in der Tradition revolutionärer Heilserwartungen denken.“ Das hat der stark konservative E.Topitsch vor 20 Jahren auch schon geschrieben. Warum brauchte Fücks da einen so langen Umweg über die sozialistischen Heilslehren, um zu den bürgerlichen Grundrechten zu kommen? Die Freiheit zu verhungern ist in manchen Ländern der Dritten Welt grenzenlos, gut, daß die nicht zur „zivilien Gesellschaft“ gehören.

5.Wenn „ökologische Politik“ sich der expansiven und zerstörerischen Logik des Kapitals widersetzen muß“ (das klingt aber sehr links), warum hat es etwas „Vampiristisches“, die neuen sozialen Bewegungen als mit Traditionen aus der Geschichte der Sozialismen verknüpft zu sehen?

6.Daß die neuen Bewegungen quer zu den tradierten sozialen und politischen Lagern stehen, ist ein Mythos, gehätschelt von einflußlosen grünen Politikern und Politikerinnen, wie sich kürzlich am Paragraphen 218 gezeigt hat. Im übrigen: ist die Verarmung der Dritten Welt etwa nichts, was nicht mit dem Begriff „Klassenkampf“ belegt werden könnte?

7.„Den“ Sozialismus gibt es nicht, der Dualismus zwischen Kapitalismus und Sozialismus existierte nicht, allenfalls ein Dualismus zwischen entwickeltem Kapitalismus und dem Staatssozialismus der industriellen Despotie.

8.Wenn Ökologie für den Kapitalismus eine radikalere Herausforderung sein soll als „der Sozialismus“ (Fücks), dann nur, wenn sie die stoffliche Seite der Produktion verändert und gegen die „zerstörerische Logik des Kapitals“ kämpft. Geht aber nicht, weil diese Terminologie zur politischen Grammatik des 19.Jahrhunderts (nach Fücks) gehört. Was tun? Robert Lederer, Bochum

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