Was lange währt, wird endlich schlecht

■ In Nordrhein-Westfalen startet am 1. April der private Hörfunk

Erdmann Linde, Leiter des WDR-Lokalfunks Dortmund, dürfte bald um 1.700 DM reicher sein. Im vergangenen Sommer hatte er mit Gisela Brender aus der NRW-Staatskanzlei eine Wette abgeschlossen: Sind am Tag der Arbeit 1990 mehr als 20 lokale Hörfunkstationen in Nordrhein-Westfalen auf Sender, muß Linde für jede zusätzliche Station 100 DM berappen, jede Station weniger als 20 kostet Bender 100 DM.

Inzwischen ist der Ausgang der Wette abzusehen: Wahrscheinlich nur in Duisburg, Hamm und dem Kreis Wesel wird am Stichtag gesendet. Am 1. April startet Radio Duisburg. Weitere acht Lokalradios sind zwar lizensiert, aber den meisten von ihnen fehlt es noch an Personal und Technik, um vor den Sommerferien auszustrahlen. Das Ganze ist ein politischer Kraftakt der SPD, um wenistens vor den Landtagswahlen Vollzug melden zu können.

Seit Dezember 1986 versucht die NRW-Landesregierung ihr Privatfunkgesetz in die Praxis umzusetzen. Ein Grund für die ständigen Verzögerungen ist in der Kompliziertheit des Gesetzes zu suchen. In seinem berühmten Zwei-Säulen-Modell soll es die Quadratur des Kreises versuchten: Die Sozialisierung des Programms bei Privatisierung der Gewinne, eine Kombination von Kommerzfunk (Betreibergesellschaft aus Tageszeitungsverlagen am Ort und Kommunen, GB) mit einer quasi-öffentlich-rechtlichen Programmverantwortung bei einem Verein, der aus Vertretern lokaler „gesellschaftlich relevanter Gruppen“ besteht (Veranstaltergemeinschaft, VG).

Einer der Geburtsfehler des Systems: Schlagartig waren in 45 Kreisen NRWs Hunderte von rundfunkpolitischen Amateuren von ihren Organisationen entsandt und mußten sich unentgeltlich in zahllosen Sitzungen dem Aufbau eines lokalen Radios widmen. Nur die wenigsten von ihnen kamen zumindest in den Genuß von Crash-Kursen in Sachen Rundfunkrecht. Ihnen gegenüber saßen gut bezahlte Profis aus den Chefetagen der westdeutschen Tageszeitungsverlage, namentlich des WAZ-Konzerns. Die hatten ihrerseits genügend Zeit, Verträge auszuarbeiten, um sie den Veranstaltergemeinschaften in standardisierter Form aufs Auge zu drücken.

1,5 Millionen DM für ein Lokalradio schienen ausreichend. Diese Zahlen basierten auf Kalkulationen des Dortmunder Journalistik-Professor Günter Rager. Dieser „Experte“, der bisher weder in Forschung noch Lehre sich mit Fragen der Rundfunkökonomie befaßt hat, lieferte der LfR Berechnungen, nach denen beispielsweise ein achtstündiges Programm an sieben Tagen in der Woche lediglich mit einer/m ChefredakteurIn und vier RedakteurInnen sowie freien Mitarbeitern und externen Technikern gemacht werden könnte. 1,1 Millionen jährliche Kosten prognostizierte der Dortmunder Professor dafür.

Radio NRW ist ein landesweiter Privatsender, der parallel zu Radio Duisburg am 1. April auf Sendung geht. Er ist eine gemeinsame Tochter von WDR, Bertelsmann und dem Zeitungsverlegerverband und stellt den lokalen Stationen ein Rahmenprogramm zur Verfügung.

Produziert wird das Programm in der ehemaligen Hauptverwaltung der Gutehoffnungshütte in Oberhausen. Dort üben in provisorisch hergerichteten Kellergeschossen und mit angemieteter Technik vom Berliner Pleitesender Hit Radio 29 zumeist aus dem privatfunkgesegneten Nord- und Süddeutschland reimportierte Nordrhein-Westfalen ein jung -dynamisches Konkurrenzprogramm zu WDR 2 und WDR 4. Zu empfangen ist das Programm jedoch vorläufig nur in Duisburg. Via Fernmeldesatellit wird es an die schon lizensierten Lokalsender geliefert. Erst vor Ort wird es dann zu den vertraglich vereinbarten Zeiten über die lokalen Sendemasten ausgestrahlt. Dabei geht es vor allem um die Werbeeinspielungen.

Für Radio NRW ist die Bundespost bereit, spezielle ISDN -Leitungen zu den Lokalradiostudios in den entlegensten Kreisstädten zu schalten. Auf der anderen Seite leistet sich der neue Landessender keine eigenen Korrespondenten an den Schauplätzen der deutschen und internationalen Politik. Hier greift man auf die Radio-Korrespondenten der Stiefschwester Rufa ( die Tochter von Radio-NRW Anteilseignerin Bertelsmann) zurück. Selbst ein eigenständiger landespolitischer Korrespondent im 30 Kilometer entfernten Düsseldorf ist vorläufig nicht vorgesehen.

In der Höhle des Löwen WAZ, in Essen, scheint sich so etwas wie ein gallisches Dorf zu halten. Hier gibt sich die Veranstaltergemeinschaft nicht mit den Verträgen von der Stange zufrieden, die die WAZ-Tochter Westfilm allerorten unterbreitet. Die Essen VG besteht auf wichtigen Essentials für den Vertrag: eine Zusicherung, daß das redaktionelle Personal nicht für die Studiotechnik eingesetzt wird, keine Unterbrecherwerbung und ein Lokalradiogeschäftsführer, der von der Veranstaltergemeinschaft angestellt wird und damit ihr gegenüber weisungsgebunden ist.

„Die LfR beschimpft uns als Querulanten“, sagt Ludger Fitkau von der Essener Veranstaltergemeinschaft. Er sitzt für den Radioverein „Neue Essener Welle“ (NEW) in diesem Gremium. Die NEW ist einer von vielen Radiofördervereinen in NRW, die sich um die Nutzung der sogenannten „15-Prozent -Quote“ für den Bürgerfunk im Lokalradio kümmern. Die Zukunft dieser 15-Prozent-Vereine ist ein Kapitel für sich, das sich sicherlich bald nach den Landtagswahlen klären wird.

-boff