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Was ist für wen böse?

Das Böse ist in jedem von uns, und es kommt von Gott. „Der das Licht bildet und Finsternis schafft, Frieden stiftet und Unheil schafft, ich, der Ewige, tue dies alles“ (Jesaja 45, 7). Das Böse ist keine bedrohende Macht von außen, es ist in uns selbst. Jeder Mensch trägt einen guten Trieb und einen bösen Trieb in sich, die er in der Balance halten muss.

Wir brauchen unsere böse Seite, denn ohne sie gäbe es keinen Ehrgeiz, keine Entwicklung und keine Pläne für die Zukunft. Das Böse zu verneinen hieße, die Welt anzuhalten. Der böse und der gute Trieb verleihen dem Menschen die Kraft, aus eigenem Willen zu handeln.

Die Engel sind unfähig etwas anderes zu tun als das, was ihnen befohlen ist, Tiere müssen ihrem Instinkt folgen, aber Menschen sind in der Lage zu wählen. Sie können Gutes oder Böses tun – und sie können niemand anderen dafür zur Verantwortung ziehen als nur sich selbst. Und gerade in dieser Herausforderung liegt die Essenz des Menschseins: das Begehren, auch wenn es gewalttätig ist, in konstruktives Handeln zu verwandeln.

Rabbiner Walter Rothschild, Berlin

Das Böse ist ein sittliches Übel und hat kein mythologisches Eigensein. Im Kern ist es der freie Protest gegen das Gute, das sich im natürlichen und göttlichen Sittengesetz auslegt. Versöhnung und Vergebung, Gnade und Liebe können seine zerstörerische Macht brechen. Abzuschaffen ist es tragischerweise nicht, es mobilisiert aber alle Fragen und Kräfte des Menschen zum Guten.

Pater Friedhelm Mennekes, St. Peter, Köln

Das Böse ist kein Abstraktum. Es gibt böse Menschen und böse Handlungen. Heilsgeschichtlich geschieht zum ersten Mal Böses, als sich ein Geschöpf Gottes gegen Gott auflehnt. Der Engel Iblis weigert sich nach der Erschaffung Adams, sich vor diesem niederzuwerfen. Gott gibt Iblis bis zu dessen endgültiger Verdammung beim Jüngsten Gericht die Chance, Menschen irrezuleiten. Die ersten, bei denen Iblis dies gelingt, sind Adam und Eva.

Der Mensch, der sich gegen den Willen und das Gebot Gottes auflehnt, ist böse, aber er kann durch die Barmherzigkeit Gottes wieder auf den rechten Weg gebracht werden. Der Islam, ähnlich wie das Judentum eine Hochreligion des Gesetzes, hat eine Skala entwickelt, nach der die menschliche Praxis in ein Raster zwischen Gebot und Verbot eingeordnet wird. Von den verbotenen „bösen“ Handlungen gilt, dass ihr Tun bestraft und ihre Unterlassung belohnt wird. Die Gelehrten haben daneben eine Kategorie „missbilligter“ Handlungen erfunden. Für sie gilt, dass ihr Tun zwar nicht bestraft, aber ihre Unterlassung doch belohnt wird. Außerdem gibt es Handlungen, die zwar erlaubt sind und daher keiner Strafe unterliegen, aber dennoch Gott „verhasst“ sind, zum Beispiel die Verstoßung der Ehefrau.

Islamwissenschaftler Stefan Wild, Universität Bonn

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