Was ist dran am Bollywood-Boom?: Wie Marzipan mit Zuckerguss
Liebe, Herzschmerz, Leidenschaft: Der Bollywood-Blockbuster "Om Shanti Om" ist eine gute Gelegenheit, mal einen Blick auf das Phänomen Bollywood zu werfen.
Bollywood ist Kitsch. Körperlich spürbarer Kitsch, an manchen Stellen schon fast unerträglich. Kitsch, bei dem sich selbst Rosamunde Pilcher noch einiges abschauen könnte. Allein die Titel der letzten Produktionen sprechen für sich: "Erzähl mir nichts von Liebe", "Am Abend wartet das Glück", "Ein Leben für die Liebe". Vier Stunden seichte Handlung, musikalisch-wirbelnde Tanzeinlagen, und am Ende steht das allumfassende Happy End: Bollywood ist süß, bunt und klebrig ein bisschen wie Marzipan mit Zuckerguss.
Und dennoch: Der indische Film boomt auch bei uns. 2004 fing alles an - mit der RTL-Ausstrahlung von "In guten wie in schweren Tagen", einem tragischen Familienepos über die Beziehung zwischen Vater und Sohn. Damals noch in gekürzter Fassung, denn die normale Länge von vier Stunden wollte man den Bollywood-unerfahrenen deutschen Zuschauern dann doch nicht antun. Seither wächst die Fangemeinde auch hier kontinuierlich - und entspricht mindestens ebenso vielen Klischees wie der Film selbst: Der klassische Bollywood-Fan ist weiblich, ungefähr 16 Jahre alt und trägt einen Bindi auf der Stirn.
Und mit der Fangemeinde wächst auch das Angebot rund um die Filmindustrie: Hindiunterricht und Bollywood-Tanzkurse findet man inzwischen in jeder größeren Stadt, in den letzten drei Jahren kamen immer neue Fan-Magazine auf den Markt - mit seltsamen Namen wie Ishq oder Bollywood Rapid Eye - , von denen die meisten allerdings genauso schnell wieder verschwunden waren, wie sie erschienen waren.
Als Romanzen-Held Shah Rukh Khan vor einigen Wochen bei der Berlinale auftrat, sorgte sein Erscheinen dafür, dass die Karten für seinen neuen Film Om shanti Om in nur sieben Minuten ausverkauft waren. Vom deutschen Bollywood-Rummel war Shah Rukh Khan begeistert: "Ich habe mich wie zu Hause gefühlt, als ob ich ein Deutscher wäre, oder alle Deutschen wären Inder", sagte er dem Spiegel, und fügte noch leicht mysthisch hinzu: "Es gibt einfach keine Grenze, keine Berliner Mauer, die das Kino daran hindern können, kulturelle Schranken zu überwinden." Khan hat bislang in über 90 Filmen mitgespielt - in nicht einmal 15 Jahren. Oft dreht er mehrere Filme gleichzeitig und ist nebenbei im indischen Fernsehen in unzähligen Werbesendungen zu sehen.
Und die Inder haben noch lange nicht genug von ihm: In seinem Heimatland ist Shah Rukh Khan schon längst eine Art Gott geworden, ein Mythos, der alles überstrahlt. Indische Familien gehen oft drei, vier Mal in denselben Film, und sind bei der Vorführung mit einer Emotionalität dabei, die man sich hierzulande nur sehr schwer vorstellen kann: Während dem Film wird gepfiffen und gesungen, die Bösen werden gnadenlos ausgebuht. Und Shah Rukh Khan ist der unbestrittene Held der Kinoszene: Seine Rollen sind fast ausschließlich beschränkt auf den netten Kerl von nebenan, der leidenschaftlich und herzzerreissend um seine Liebe kämpft.
Auch in Deutschland kann man dem indischen Superstar nur schwer aus dem Wege gehen: Shah Rukh Khan schaut in manchen Videotheken inzwischen öfter vom Film-Cover als Brad Pitt und George Clooney zusammen. Kein Wunder, wenn man die schiere Masse von Filmen anschaut, die in Bombay produziert werden: 250 Filme werden dort jährlich gedreht. Bollywood gilt als investitionsstärkster Markt für Filmproduktionen, und wächst mit dreizehn Prozent fast doppelt so schnell wie der amerikanische. Das haben inzwischen auch Hollywood-Studios und Investmendfonds aus den USA gemerkt: Sony Pictures arbeitet bereits an Projekten in Indien, andere Studios wie Warner Brothers, Paramount Pictures und Walt Disney wollen in den kommenden Jahren nachziehen.
Wie sehr Bollywood auch in Deutschland boomt, zeigen unzählige Filmforen, in denen sich die Filmfans austauschen. Neben Infos zu Stars und Filmen finden sich ganze Diskussions-Foren zum Thema Kultur, Religion oder Essen in Indien. Und - etwas kurioser - zur Auswanderung. "Ich will nach der Schule auf jeden Fall nach Indien ziehen", schreibt "priya91". "Kein Land ist so wie India. So reich, so schön und das hat die beste Lebensqualität." Durch die Filme ist - im fremden Deutschland - ein Zerrbild von Indien entstanden, ein realitätsfernes Gebilde aus tanzenden Menschen, die immerzu singen scheinen. Bollywood lässt grüßen.
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