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Was ist das Gute an schlechten Filmen?

■ Ohne sie würde es unser Korrespondent gar nicht aushalten

Aus Venedig Arno Widmann

Wenn man bedenkt, daß jeder der bei einem Filmfest auftretenden Regisseure sich vorgenommen hat, uns etwas Großartiges zu bieten, unsere Emotionen aufzustacheln, dann muß man sich darüber freuen, daß es so wenigen von ihnen gelingt. Schon so haben die Nerven mehr zu tun, als ihnen guttut. Einerseits ist es unbedingt nötig, daß sie offen liegen und jedes Signal aufnehmen. Andererseits: Kann Mensch sich anderthalb Stunden der unglücklichen Liebesgeschichte eines zwanzigjährigen Fotografen mit einer Zwölfjährigen ausliefern, nachdem eine halbe Stunde vorher die Bilder von Allendes Tod über die Leinwand liefen? Man überlebt ein Festival nur dank der schlechten Filme. Sie legen sich wie eine Wundsalbe auf die lädierten Nerven, wie Wattebäusche helfen sie das Blut abtupfen, das da und dort aus der aufgerissenen Haut herausgetreten ist. Unfreiwillige Komik therapiert schockartig. Freilich, wenn man nur noch in Watte gepackt wird, dann hat die gütige Festspielleitung zuviel des Guten getan; das gut gemeinte Mittelmaß kann einem alle Sinne verschmieren. Taverniers Film „Round Midnight“ / „Autour de minuit“ über die Geburt des modernen Jazz, des be–bop, u.a. mit Dexter Gordon, hat mich nicht nur völlig kalt gelassen, sondern mir ging das wehleidige Gedröhne des Saxophons schon nach der ersten halben Stunde so auf den Wecker, daß ich den Platz wechselte, um dem Getute zu entkommen. Es ist die Geschichte eines großen, dem Suff ergebenen schwarzen Saxophonisten, dem ein junger Franzose wieder auf die Beine hilft. Mir ist das Saxophon allein schon zu sentimental, geschweige denn auch noch dieser arme alte Mann, der steif durch die im Studio nachgebaute, freudlose Gasse des Paris der 50er Jahre stakst. Die Kritik aber ist begeistert. Tavernier sei gelungen, was noch keinem gelungen ist: Ein Film über die Entstehung des Modern Jazz, der die Atmosphäre jener Jahre wieder erstehen lasse. Und Dexter Gordon habe die mit Abstand beste schauspielerische Leistung des Festivals geliefert. Meine Skepsis bekommt Munition, wenn ich in der einen Zeitung lese, Dexter Gordons „Gesten und Bewegungen“ hätten „etwas Aristokratisches“, während ein anderer nicht weniger beeindruckter Kritiker seinen Gang mit dem „Frankensteins“ vergleicht. Die widerliche Arroganz gegenüber den Filmemachern prägt das ganze Festival. James Ivory, der eine neue Forster–Verfilmung „A room with a view“ vorführte, legte nach fünf Minuten seinen Kopfhörer weg: Die Übersetzung sei absolut unverständlich und er wäre am liebsten aufgestanden und gegangen. Aus purer angelsächsischer Sportsmanship gab er den fellows vom Venice Festival noch eine Chance. Da aber auch der Diskussionsleiter des Englischen nicht mächtig war, wurde die Pressekonferenz zu einem Gespräch zwischen den englischsprachigen Journalisten und dem Regisseur. Dies nur als ein Beispiel. Ich glaube nicht, daß ein auch nur höflicher Umgang mit Regisseuren, Autoren, Journalisten und Besuchern möglich ist, solange sich nicht bis in die kleinsten Verhaltensstrukturen etwas ändert.

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