: Was gegen "Chaostage" zu tun ist
„[...] Die besondere Aufmachung der chaotischen Gewalttäter, ihre betont von der Norm abweichende Kleidung, ihr sonderbarer Haarschnitt, das alles ist kein hinreichendes Merkmal, die gewaltbereiten Blöcke von den harmlosen Schafen zu trennen. Für viele Heranwachsende ist die zerfetzte Jeanshose, die speckige Lederweste, der Irokesen-Haarschnitt eine vorübergehende, pubertäre Erscheinung. Oft ist das etwas Ähnliches, wie es vor fünfzig Jahren der in hartem Kampf durchgesetzte Wunsch der Tochter war, sich endlich die Zöpfe, die sie im Reich der Kindheit zurückhielten, abschneiden zu dürfen. Aber der Wunsch, sich von einer Erwachsenenwelt abzusetzen, die auf Arbeit, Disziplin, schließlich auch auf einem gewissen Maß von Anpassung beruht – anders wird Kultur nicht weitergegeben, die Fortentwicklung sorgt schon für sich selbst –, zeigt sich heute in krasserer Form als ehedem. [...] Diejenigen, die die Station der Anpassung versäumt haben, ob aus Schläfrigkeit, Entschlußarmut, wegen sozialer Nachteile (Arbeitslosigkeit) oder aus Hochmut, kann man kaum mehr zurückholen [...]. „Chaostage“ müssen von den Ursprüngen her bekämpft werden. Das fängt damit an, daß man die Leute, die ihre Chaostage dankenswerterweise vorher ankündigen und sich in ihrer äußeren Aufmachung dazu bekennen, daran hindert, an den Ort der möglichen Tat zu gelangen. So hat es vor gut einer Woche die Stadt Frankfurt, sonst nicht gerade berühmt für das Wahren einer herkömmlichen Ordnung, vorgemacht, als eine zur Gewalttätigkeit neigende Kurdendemonstration drohte. Gewiß geschehen bei einer Zernierung des potentiellen Tatorts auch Ungerechtigkeiten. Nicht jeder, der als junger Mann einen lila gefärbten Zopf trägt, ist ein geborener Gewalttäter. Aber wenn solche Leute, die in Gruppen anreisen, aufgehalten werden, erspart das ihnen die Versuchung, sich in Gewalt hineinziehen zu lassen, der Polizei einen harten Einsatz und dem Gemeinwesen Verwüstungen, die wiederum die älteren Bürger daran zweifeln lassen, daß es Sinn habe, ihre Formen des nicht konfliktfreien, aber geregelten Zusammenlebens an die Nachkommen weiterzugeben.“ [...]
Der verantwortliche Redakteur für Innenpolitik der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gestern. Foto: A. Stauth
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