■ Was der Friseur alles weiß: Was die grosse Koalition im Innersten zusammenhält
Und wir dachten schon, er ist weg unter dem Pflaster, beim Primelnzählen, ganz verschütt. Doch gestern nacht war die ver - traute Stimme wieder da: Hallo, rief er, hallo, leicht verschüchtert und etwas resigniert, kennt Ihr mich noch? So rein geburtstags- mäßig. Unser Friseur, der nur die höchsten Kreise frisiert, auch an- dersrum. (Die Geschichte seines Verschwindens und plötzlichen Wiederauftauchens ist schnell erzählt: Der Bürgermeister nahm ihn mit, ließ sich noch jede Woche zweimal die Nordseewelle ins Haar fönen, stellte dann aber nach Monaten bitter fest, daß er den Friseur nicht mehr auf Staatskosten werkeln lassen konnte, und da schickte der Werdermeister ihn in die Wüste. Wo liegt die bloß? Aber es gab ja noch die Planstelle - und damit die nicht verfiel... das alte Spiel) Wir waren ganz begeistert, daß nun die gute Quelle aus besten Senatskreisen wieder sprudelte. Klaus fragte gleich: „Wer wird denn als erster von den beiden bedient?“ Da lachte unser Friseur so laut, daß wir ganz erleichtert waren. So hatte er schon früher gelacht, wenn wir die falschen Fragen stellten. „Also, als erstes mußte ich einen zweiten Frisierschemel besorgen lassen. War kein Geld da. Nölle kannte aber einen Zahnarzt, der ihm den ausrangierten Dentisten- Stuhl lieh. Gegen gute Miete.
Scherf sah den Stuhl und wollte sofort auch so einen haben. Am nächsten Tag gabs Krach... um die Linie 4. Peng Peng.“ „Ach“, sagte Susanne, „darum ging es also. Und wir dachten schon...“ „Wessen Silberhaar braucht denn länger unter der Schere?“ fragte Jochen, der begriffen hatte, daß Kunst am Haupthaar von entscheidender politischer Tragweite ist. „Alle Tage, die mit M anfangen, wird Scherf geschoren, dann führt er die große Debatte: Wie steht Bremen zur UNO, zum Mars und zu Ufos, Seelenheil inklusive. Wer frisiert wird, darf regieren.“ „Ja, aber dann hat der Scherf doch nur zwei Tage das Sagen“, resümierte Dirk, dem da etwas aufgefallen war. „Eben.“ „Was eben?“ „Genauso isses. „Genau so?“ faßte Dora unser gedankliches Fortkommen zusammen. „An den anderen Tagen darf Nölle entscheiden: besonders in Banksachen, Super-Finanzchaos, Kulturabbau, Untertunnelungen aller Art und insbesondere, was den Häfensenator angeht... „Wieso denn das?“ „Der Häfensenator will ja schon lange weg, am liebsten nach USA, da fühlt er sich am wohlsten, aber in Bremerhaven taten ihm schon die Füße weh und da bleibt er jetzt...“
„Hat Scherf denn auch ein Konto auf der Nölle-Bank?“ fragte Alexander. „Eins? Der hat alle Konten, die mit M anfangen, und das sind mindestens drei Dutzend mehr als Ultimo“ (eine Rechenaufgabe, nach dem Dreisatz zu lösen). Der Friseur kicherte ein wenig albern. „Der hat doch den Nölle allen Ernstes gefragt, wie lange man sparen muß, um so eine eigene Bank zu kaufen.“ Nun rechneten wir alle, und das tut nachts ganz gut, wenn man immer nur Buchstaben gewälzt hat. „Schlimm ist es immer, wenn Werder am Wochenende gewonnen hat“, sagte der Friseur mitten hinein in unsere Mathe-Pause. „Ach“, entfuhr es Kerstin, „und wieso?“ „Dann wissen beide, daß die montags nix zu melden haben. Dann ist die Senatorenrunde so stolz auf die Hansestadt, daß Scherf und Nölle zwei Stunden schweigen müssen.“ Es sind ja nicht nur die Geheimnisse, die unser Friseur kennt, sondern daß er sie auch ausplaudert, macht ihn so wertvoll. Auch andere kennen Geheimnisse, aber die plaudern eben nicht. „Was war denn mit dieser Medienattacke?“ wollte KlausZwei wissen. „Nölle wußte - wie immer - davon, dachte, er kriegt so den Janknecht von der Backe und ließ ihn Amok laufen.“ „Und Scherf?“
Da brach die Verbindung ab... mal sehen, ob der Friseur sich nochmal meldet.
Jürgen Alberts
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