■ Was Willem de Kooning, der im Alter von 92 starb, faszinierte, war, "etwas zu machen, von dem ich nie ganz sicher sein kann, und auch sonst niemand. Ich werde es nie wissen, und auch sonst niemand.": Jedes Bild ein "Ereignis"
Was Willem de Kooning, der im Alter von 92 starb, faszinierte, war, „etwas zu machen, von dem ich nie ganz sicher sein kann, und auch sonst niemand. Ich werde es nie wissen, und auch sonst niemand.“
Jedes Bild ein „Ereignis“
Da war dieser verschmitzte Blick hinter dem schwarzen Brillengestell und ein leicht spöttischer Zug um die Mundwinkel. Wann immer Willem de Kooning sich fotografieren ließ, sah man ihn fröhlich grinsend: auf Parties, im Atelier vor seinen Bildern – charmant, selbst bis ins hohe Alter. Fast schien es, als hätte sich der Maler den Ausdruck auf den Gesichtern seiner berühmten „Woman“-Serie zu eigen gemacht, die er 1952 begann.
Von helleuchtenden, zerklüfteten Farbschichten eingerahmt, strahlten diese „wilden“ Akte eine enorme Vitalität aus, mit der sich de Kooning in ausschweifenden Phantasien bis zu antiken Mythen zurückträumte, wie der Maler dem BBC-Moderator David Sylvester anfang der sechziger Jahre gestand: „Es ist eher so wie die mesopotamischen Idole: Sie stehen immer aufrecht, den Blick zum Himmel gerichtet, mit diesem Lächeln, als ob sie einfach verwundert wären über die Kräfte der Natur, die man fühlt, und nicht über die Probleme, die sie miteinander hatten. Und das war mir sehr bewußt – das Lächeln war etwas, woran ich weitermachen konnte.“
Dabei hatte es bald 25 Jahre gedauert, bevor aus dem Sohn eines holländischen Getränkegroßhändlers und einer Barfrau der Inbegriff moderner, zeitgenössischer und vor allem US-amerikanischer Malerei werden konnte. Am 24. April 1904 in Rotterdam geboren, studiert Willem de Kooning zunächst in Abendkursen, während er tagsüber bei der Werbe- und Ausstattungsfirma der Gebrüder Gidding in die Lehre geht. An Matisse liebt der kaum Zwölfjährige die Klarheit der Akte, an Picasso den spielerischen Umgang mit Form. Dada, de Stijl oder Surrealismus werden ihm dagegen schnell zu eng: 1926 heuert der junge Kunststudent als Putzer auf dem Dampfer „Shelley“ an und schmuggelt sich in der Hoffnung auf eine Anstellung als Illustrator in die Neue Welt. In den Vereinigten Staaten entwirft Willem de Kooning Schaufensterdekorationen für A.S.-Beck-Schuhläden – ähnlich praktisch verankert beginnt zwanzig Jahre später Andy Warhols Karriere.
Doch in den dreißiger Jahren ist der Aufstieg im Kunstbetrieb auch in Amerika nicht ohne sozialistische Aufbauarbeit zu haben: De Kooning wird wie Jackson Pollock Mitglied der Artists Union und Wandmalerei sein Auftrag. Der Erfolg kommt trotzdem erst mit „Woman I“, an dem de Kooning nur weitermalt, weil der Kunsthistoriker Meyer Shapiro sich für die üppige Figur und verschachtelten Flächen begeistert.
Was von der Kritik als Antwort auf die Frauenakte von Picasso gefeiert wird, ist für de Kooning ein Spiel mit der Geschwindigkeit des Malens: Der Künstler spitzt den Zeitgeist zu – aus dem Wittgenstein-Spruch „Denke nicht, schau!“ wird bei ihm ein „Schau nicht, male!“. Die amerikanische Nachkriegsmoderne ist europäischer Expressionismus auf Speed, jedes Bild ein „Ereignis“.
Den kühlen Alltag der Pop-art hat de Kooning erstaunlicherweise immer verachtet, auch wenn er sich für seine sexuell aufgeladene „Woman“-Serie eine Camel-Reklame zum Vorbild nehmen konnte. Als Robert Rauschenberg 1959 eine seiner Zeichnungen ausradiert, nahm er es dennoch als Kompliment der nachrückenden Generation, so wie seine intuitive Arbeitsweise überhaupt von sämtlichen Strömungen der sechziger Jahre unbeleckt blieb: „Ich mache mir eine gewisse Art von Fläche zu eigen, und die kann ich dann nutzen.“ Erst als Fläche, dann als Körper: Ab 1970 entstehen nun auch Skulpturen, deren Geschmeidigkeit zwar an Rodins Figuren erinnert und deren Form doch mit einem elektrisiertem Gestus daherkommt, als sei der Blitz in alle Glieder gefahren.
Anders als bei Francis Bacon spiegelt sich für de Kooning in all dem durchwühlten Fleisch keine existentielle Bedrohung wider, sondern eher eine Spontaneität, deren ungebändigte Energie in jeder einzelnen Regung Gestalt annimmt: „Und genau das fasziniert mich – etwas zu machen, von dem ich nie ganz sicher sein kann, und auch sonst niemand. Ich werde es nie wissen, und auch sonst niemand.“
In diesem Denken treffen der hedonistische Überschwang der Fifties und der Glaube an das total befreite Individuum aufeinander. Dafür wurde de Kooning belohnt: Am 13. März 1962 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft, zwei Jahre später verlieh ihm Lyndon B. Johnson die „Presidential Medal of Freedom“.
Auch als Ärzte die Alzheimersche Krankheit bei ihm feststellten, arbeitete de Kooning weiter: Seine Bilder der späten achtziger Jahre werden zur Zeit im New Yorker Museum of Modern Art gezeigt. Weite, eingeweißte Landschaften, in denen sich feingeschwungene rote und blaue Linien begegnen – Malerei der unbegrenzten Möglichkeiten. Am Mittwoch ist Willem de Kooning gestorben. Ein Lächeln bleibt zurück. Harald Fricke
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