Was Mode ist: Das Spiel der Postfashion
Mode heißt nicht notwendig Konsum. Mode heißt erst einmal: sehen lernen, was Kleider machen, und was man dann mit ihnen machen kann.
Die Mode ist nur an der Oberfläche harmlos. Spricht man über sie, wird es schnell grundsätzlich. Mode ist der Firnis, unter dem die eigenen Prämissen verborgen sind. Wie man sich zur Norm zu verhalten hat und wie viel Abweichung erlaubt ist. Wie man sich „die anderen“ vorstellt und das Verhältnis zu ihnen und welche Autorität sie haben über die Kontur des eigenen Selbst.
Welche Art von Körper Erotik beanspruchen dürfen, wie groß das Spiel des Eigenen ist, was und wann man feiern darf und ob man selbst, jetzt und so, dazugehört. Oder gleich: Worum es geht in der eigenen Existenz.
Anders gesagt: Man hat, bevor man sich kleidet, schon ziemlich viele Entscheidungen getroffen, von denen keine eine Stilentscheidung ist. Meist bleibt das unbemerkt. Die Folgen sind sichtbar. Die Folgen, das ist im Fall der Mode das Kleid.
Radikale Selbstaneignung
Die Mode ist nicht bloß eine Anhübschung. Ihre Amplitude ist ziemlich groß. Man kann in der Mode für sich selbst real werden, und man kann sich zumutbar machen für die anderen. Sie kann der Ort beflissener Konformität sein oder der Ort radikaler Selbstaneignung. Ob sie das eine ist oder das andere, hängt davon ab, wie man in der Mode ist; und wie man in der Mode ist, hängt von der Idee ab, die man von ihr hat.
Das hier, damit sollte ich anfangen, ist ein Text für solche, die sich nicht für Mode interessieren, von einer, die sich auch nicht für Mode interessiert – zumindest nicht für das, was wir noch immer für „die Mode“ halten. Was mich interessiert, stattdessen: Kleider und wie sie an konkrete Körper kommen. Das, was Kleider mit diesem Körper machen, in ihrer Wirkung nach innen. Prinzipien der Komposition und vestimentäres Spiel. Experiment, Improvisation, Erfindung. Die Motivation hinter jedem Angezogensein, die für andere nie vollständig lesbar ist.
Mich interessiert die Neue Mode, die keine Vorgabe mehr ist, sondern eine Gleichzeitigkeit von diversen Stilen, Formen, Silhouetten und Trageweisen. Diese andere Mode ist schon da, sie muss nicht kompliziert erfunden werden. Nur einen neuen Namen braucht sie, der Verständlichkeit wegen. Ich nenne sie: Postfashion.
Postfashion ist Mode, die im Wesentlichen von einer einzigen Idee zentriert wird: der eigenen. Was ja, genau betrachtet, im realen Getragenwerden schon der Fall ist.
Wir halten Modeindustrie für die Mode
Es ist bisher ein bisschen chic gewesen, sich nicht für die Mode zu interessieren – was mit einer Verwechslung zu tun hat. Wir halten die Modeindustrie für ‚die Mode‘. Und weil die Industrie immer schneller wird in ihren Zyklen und wahlloser in ihrer Produktion, liegt es nahe zu sagen: ‚Ich interessiere mich nicht für Mode, ich lehne sie sogar ab – das Shopping, die Bitchyness, die Oberflächenobsession.‘ Dabei ist nichts davon notwendig mit der Mode verbunden – sondern nur mit dem bisherigen Modebegriff.
Mode heißt nicht notwendig Konsum. Mode heißt erst einmal: sehen lernen. Sehen, was Kleider machen, und dann etwas mit ihnen tun. Genau das wird in der Postfashion zentral. Ihre Strategie ist das Spiel.
Spiel ist das, was Designer beim Entwerfen machen. Wenn sie Mode anschauen, sehen sie ein Miteinander von einem konkreten Kleid und einem konkreten Körper. Mode machen ist eine Frage von Proportionen und Linien und Volumen und Materialität, von dem, was ein Design mit dem Körper macht und welche Sprache das ergibt. Jedes Modemachen ist vestimentäres Spiel – und ob man etwas entwirft, oder ein Outfit komponiert, was im Fashionjargon „Styling“ heißt, ist dabei egal.
Die erste Frage ist immer die: „Ist da etwas, etwas Interessantes? Und wenn ja, was ist das Interessante daran?“ Die Frage ist schlicht, weswegen die Beobachtung ungeheuer genau sein muss. Darum geht es jetzt. Wir müssen sehen lernen, wirklich hinschauen, das ist zentral.
Mode-Sprache kennt kein Shopping
Das Spiel in der Mode hat drei Folgen, und die charakterisieren die Postfashion. Erstens: Je mehr man sich für die Sprache der Mode interessiert, desto weniger geht es um Shopping. Zweitens: Je mehr man sich auf das konzentriert, was Kleider am Körper machen, auf das Umfasstwerden durch Stoff, auf Schwere und Leichtigkeit, darauf, welchen Effekt das Outfit auf die Haltung und die Bewegung und das Spürbewusstsein hat, desto mehr ist man verkörpert in diesem Outfit.
Auch das nämlich gehört nicht notwendig zur Mode: das Objektverhältnis zum eigenen Körper. Niemand muss in der Mode aus der Perspektive der anderen auf sich schauen und in ein Outfit steigen wie in eine Verkleidung. Im Gegenteil, eigentlich ist Bekleidetsein eine Einladung zum Embodyment, weil einem die ganze Zeit irgendetwas um den Körper streicht. Man muss sich anstrengen, um nicht verkörpert zu sein, etwas ausblenden (genau das passiert ja auch).
Die dritte Folge des Spiels ist, dass das Scannen nach Bedeutung verschwindet. Die identitäre Lesart der Mode geht davon aus, dass Mode vor allem von einem selbst erzählt. Die größte Modeangst in ihr ist, dass die anderen etwas von einem sehen, von dem man selbst nichts weiß.
Dabei: Kleider erzählen zwar etwas, nur ist die Sprache der Mode nicht Charakter oder Distinktion oder Persönlichkeit. Klar gibt es Codes. Aber Codes sind das Erste, was changiert, wenn die Mode kein stabiles System von Zeichen mehr ist. Das Identitätsding muss aus der Mode verschwinden.
Ein neues Dazwischen
Genau das passiert jetzt – und zwar ausgerechnet dort, wo die einzige Identitätslinie verschoben wird, die es in der Mode (und nahezu auch außerhalb von ihr) noch gibt: Gender. Es geschieht im Verschieben der Codes, in dem Hineinwandern von Elementen der Frauenmode in die Männermode, in diesem neuen Dazwischensein. Das Spiel, natürlich, hat einen Effekt – weil sich in diesem Verschieben auch die Zuschreibung verschiebt.
Was daraus folgt? Meine These ist die: Es gibt keine toxische Maskulinität im Rüschenhemd. (Ich meine damit eine enge Idee von Männlichkeit, die Männer zwängt.) Wer so etwas trägt, hat sich davon verabschiedet – und wenn nicht, dann tut es das Hemd für ihn. Einfach deshalb, weil in dieser Logik das man down schon stattgefunden hat, allein durch die Codierung der Rüschen. Was dann an Stärke bleibt, ist wirklich die eigene.
Die Mode hat immer ein Surplus, jeder Selbstausdruck in ihr ist immer auch Selbsterfindung. Dieses unkalkulierbare Moment ist Teil des Spiels. Postfashion ist ein Einüben in Uneindeutigkeit. Es ist ein guter Moment dafür. Was darin angelegt ist, ist ein anderes Miteinander. Eines, das Gemeinsamkeit als Grundlage hat und nicht verspannte Distinktion.
Ob es gelingt, entscheidet sich daran: welche Art von Publikum wir künftig füreinander sind, und wie wir „die anderen“ denken. Es braucht ja ohnehin eine freudvollere, wohlwollendere Art der Zeugenschaft – und ausgerechnet die Mode könnte ein Trainingsfeld dafür sein. Wirklich, wir müssen ein begeisterteres Publikum füreinander sein. Die anderen nicht als Darsteller lesen. Das Gemeinsame wichtiger nehmen als das Unterscheidende. Denn das ist es ja.
Es gibt etwas Radikales am Spiel, an dieser Feier des Moments. Adrienne Maree Brown nennt das: Pleasure Activism. Noch sind wir geübter im Misstrauen gegen zu viel Vergnügen. Aber es ist, mit diesem anderen Überbau, eine ziemlich gute Spur.
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