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Archiv-Artikel

Was Adorno nicht wissen soll

„Ich liebe eine Spur der Heimlichkeit“: Ein Hörbuch dokumentiert die Freundschaft von Gretel Karplus und Walter Benjamin

Gute Nacht, mein Stück Holz“, so verabschiedete sich Gretel Karplus im Herbst 1933 von Walter Benjamin. Auch wenn sie sich über seine zu kurze Mitteilung beklagt, klingt es mehr zärtlich als beleidigt. „Detlef Holz“ war das Pseudonym, unter dem der Philosoph und Schriftsteller ab 1933 in Deutschland publizierte; sie zeichnet mit „Felizitas“, einer Figur aus einem Theaterstück.

Die Briefe zwischen Benjamin und Gretel Karplus, geboren 1902 in einer Familie des gehobenen jüdischen Bürgertums, gehen zwischen 1930 und 1940 regelmäßig hin und her. Überraschend ist weniger ihr Inhalt als der intime Ton. Auch wenn sich diese Freundschaft hauptsächlich auf dem Papier abspielte – innerhalb von sieben Jahren begegneten sie sich nur dreimal –, stellt sich beim Hören das Gefühl ein, als würde man durch den Türspalt schielen.

Das Namensspiel war nur vordergründig dazu da, die Korrespondenz vor Theodor W. Adorno zu verbergen, mit dem Karplus seit 1923 liiert war. „Ich jedenfalls liebe eine Spur der Heimlichkeit, und ich finde das Versteck in den beinah für uns reservierten Namen herrlich“, schreibt Gretel Karplus. Sie erzählt Benjamin von Dingen, die sie mit Adorno nicht besprechen will oder kann – Selbstzweifel, gesundheitliche Probleme, Lektüreeindrücke und auch einmal von einer Affäre. Und er berichtet vom Stand seiner Arbeiten, seinen Opiumexperimenten, vor allem aber von seinen existenziellen Sorgen im Exil.

Der Speak-low-Verlag hat diesen Briefwechsel, 2005 bei Suhrkamp erschienen, nun als Hörbuch produziert; als Ergänzung zur Korrespondenz von Benjamin und Adorno, ediert im letzten Jahr. Angenehm zurückgenommen spricht Martin Wuttke die Briefe Benjamins, der selbst dann noch formvollendet schreibt, wenn er unter prekären Umständen arbeitet. Dagegen liest Johanna Wokalek die Briefe von Gretel Karpus bewegt und eine Spur zu mädchenhaft. Denn obwohl sich die promovierte Chemikerin in ihren Briefen oft unsicher gibt: In wesentlichen Fragen tritt sie sehr entschieden auf. Wie Henri Lonitz in seinen informativen, aber nasal vernuschelten Kommentaren erläutert, versucht sie, Benjamin nicht wegen seiner finanziellen Abhängigkeit zu beschämen. Beiläufig erwähnt sie immer mal wieder, es sei ein „rosa Zettelchen“ unterwegs – eine Hilfe, die Benjamin dringend brauchte. Je schwieriger seine materielle Situation wird, umso mehr vergräbt er sich in der Arbeit. „Ich wage nicht, an die Welt da draußen zu denken“, schreibt er im September 1935.

Gretel Karplus bittet gemeinsame Freunde um Unterstützung und schickt ihm aus Berlin Bücher und Papier an seine wechselnden Adressen nach. Von ihrer eigenen Arbeit – sie war Geschäftsführerin eines Unternehmens für Handschuhleder – erzählt sie erstaunlich wenig. Im August 1937 emigriert sie nach London, heiratet Theodor W. Adorno, bevor sie weiterziehen nach New York. Von da an wird die Korrespondenz unregelmäßiger, der Grundton wechselt zunehmend von verschmitzt-vertraulich zu fürsorglich-besorgt. Immer wieder will sie Benjamins Blick auf eine Zukunft zu lenken, an die er nicht mehr glaubt. Wenige Monate vor seinem Selbstmord im Mai 1940 schreibt er: „Wir müssen sehen, unser Bestes in die Briefe zu legen; denn nichts deutet darauf hin, dass der Augenblick unseres Wiedersehens nahe ist.“

An dieser Stelle reißt das Gespräch ab. Es dokumentiert anschaulich die Jahre von Benjamins Exil, seiner zunehmenden Isolation; doch die Hauptperson ist eindeutig seine wenig bekannte Gesprächspartnerin. Es beeindruckt, wie Gretel Karplus diese ungewöhnliche Freundschaft mit all ihren heiklen Aspekten aufrecht erhält, wie sie versucht, ihrer Briefe heiter zu halten, während zwischen den Zeilen Erschöpfung durchscheint. Vielleicht ist es dieses ständige Bemühen um Normalität, das den Alltag der 30er-Jahre beklemmend plastisch werden lässt. IRENE GRÜTER

Gretel Adorno, Walter Benjamin: „Briefwechsel“. Speak Low, Berlin, 3 CDs, 238 Minuten, 22,90 Euro