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■ Diskussionen zum europapolitischen Papier der UnionWarum immer trampeln?

Das europapolitische Papier der CDU/CSU-Fraktion hat wieder einmal einen Trampelpfad quer duch Europa gelegt. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Richtung der Vorschläge stimmt durchaus, aber dorthin gibt es längst angelegte Wege. Schäuble und Co. hätten außenpolitisch nicht alles niedertrampeln müssen.

Die Debatte ist notwendig. 1996 soll der Maastricht-Vertrag generalüberholt werden. Als er formuliert wurde, war Europa mitten im Umbruch, der Warschauer Pakt aufgelöst, die Sowjetunion vor dem Auseinanderbrechen. Maastricht war ein hastig zusammengezimmerter Gemeinschaftsvertrag, der mehr auf Spekulationen denn auf fundierten Prognosen über die Entwicklung Europas beruhte.

Inzwischen ist deutlich geworden, daß einiges anders lief als damals vorgesehen. Die mittel- und osteuropäischen Staaten drängen stärker und schneller in die westliche Gemeinschaft als beispielsweise Frankreich, Spanien und Portugal damals wahrhaben wollten. Und das nationale Denken ist rascher und rüder auf die europäische Bühne zurückgekehrt als die Mehrheit der deutschen Politiker glauben wollte. In fast allen europäischen Staaten müssen sich die Regierungen gegen nationalistische Bewegungen und Parteien im Innern zur Wehr setzen. Zur Entlastung treten sie außenpolitisch um so egoistischer auf. Seit der Angstschleim des Kalten Krieges weggetrocknet ist, der die EG so zäh zusammenhielt, seitdem ist die Gemeinschaft immer mehr zum Marktplatz der nationalen Egoismen verkommen.

Immer war die Europäische Gemeinschaft eine vorrangig über die Wirtschaftspolitik organisierte Gemeinschaft. Das „vorrangig“ kann man inzwischen streichen. Trotz aller Ansätze einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, trotz zögerlicher Versuche, eine einheitliche Innen- und Justizpolitik auf die Beine zu stellen, verkörpert die EU heute weniger denn je eine politische Vision. Es sind die vordergründigen nationalen Interessen, die das Bild von Europa 1994 bestimmen. Und die werden heute überwiegend wirtschaftlich dekliniert.

Darin liegt auch der große Verdruß an Europa. Ob Agrarpolitik, Stahl oder Kohle, die Europäische Kommission in Brüssel verwaltet die Sorgenbranchen der Volkswirtschaften. Es sind gerade die Branchen mit der höchsten Mobilisierung, wenn es um die Verhinderung von Reformen geht. Um es allen in allen Ländern recht zu machen und keine Bauernaufstände, Stahlarbeiterblockaden et cetera anzufachen, wurde in Brüssel ein planwirtschaftlicher Apparat gezüchtet, der allein schon durch seine Unübersichtlichkeit zur Kritik einlädt.

Um ein Beispiel zu nennen: Die Hälfte der europäischen Ressourcen gehen in eine Landwirtschaftspolitik, die Masse statt Qualität fördert, die das Bauernsterben nicht aufhält und den Verbrauchern immer höher belastete Produkte zumutet. Aber diese Politik ist der kleinste gemeinsame Nenner von zwölf Regierungen, die sich auf keine einschneidenden Änderungen einigen können.

Um die wirklichen Probleme zu beheben, muß die Struktur der Europäischen Union verändert werden. Damit die EU eine politische Union werden kann, muß sie wirtschaftlichen Ballast abwerfen. Bereiche wie die Agrarpolitik sind auf niedriger Ebene besser und sinnvoller zu lösen, dagegen ist beispielsweise die Wettbewerbspolitik auf europäischer Ebene besser aufgehoben. Außen- und Sicherheitspolitik sind europäisch sinnvoller anzugehen. Deutsche Außenpolitik ist ohnehin nur noch im europäischen Rahmen möglich, weil die Ängste vor einem starken und dominierenden Deutschland sonst jeden Handlungsspielraum auf ein Minimum einengen würden. Die erschreckten Reaktionen auf das europapolitische Papier der Unionsfraktion können hierfür als Beleg genommen werden.

Die Europäische Union ist zu wichtig, daß wir sie den Bauern zum Melken und Schlachten überlassen sollten. Doch für eine grundlegende Reform fehlt den zwölf Regierungen die Kraft. Die Diagnose, woran es in der EU hapert, ist nicht neu. Auch in der Kommission und selbst in den Außenministerien der Mitgliedsländer gibt es viele, die wüßten, welche Reformen die wichtigsten wären. Aber sie sagen es so leise, weil niemand daran glaubt, daß in der gegenwärtigen Situation auch nur Ansätze davon durchsetzbar wären.

Dies liegt zum einen daran, daß in den Mitgliedsländern fast durchweg schwache Regierungen an der Macht sind, die um ihr Überleben kämpfen und wenig Lust haben, sich mit Reformeifer in Brüssel irgendwelche Wähler zu verprellen. Es ist aber auch darin begründet, daß die Entscheidungsstrukturen in der EU Veränderungen so schwierig machen. Wenn die skandinavischen Länder Schweden, Finnland und Norwegen die Hürde der Volksabstimmung nehmen und zum Jahresende die Zahl der EU-Mitglieder auf 16 erhöhen, dann werden die Prozesse noch langwieriger. Und das ist erst der Anfang der Erweiterung.

Warum aber die Aufregung über das Papier, das keines der brennenden Probleme der EU anspricht? Selbst die Idee eines Kerneuropas mit konzentrischen Kreisen allerdings wenig neu. Längst gibt es das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Die Währungsunion, wie sie mit Maastricht avisiert und inzwischen viel näher gerückt ist, als es den Eindruck hat, legt automatisch ein Kerneuropa fest. Stärker als mit einer gemeinsamen Währung lassen sich Länder kaum zusammenbinden. Keine Regierung wird dann in der Lage sein, ohne Abstimmung mit den Partnern zu regieren. Über die Aufnahme in den exklusiven Kern entscheiden überprüfbare Kriterien. Es ist schwer vorstellbar, daß alle zwölf derzeitigen EU-Mitglieder dabeisein werden, gleichzeitig aber ist es wahrscheinlich, daß beispielsweise Österreich, vielleicht auch Schweden oder Norwegen die Bedingungen erfüllen.

Doch dieses Europa der Währungsunion können Schäuble und Co. nicht gemeint haben. Dazu paßt die Auswahl der fünf Länder nicht, die in dem Papier als Kerneuropa aufgeführt sind. Und in der Tat ist es zweifelhaft, ob die Zusammensetzung des künfigen „europäischen Kraftzentrums“, wie Schäuble es nennt, nach wirtschaftlichen Kriterien ausgewählt werden soll. Wenn aber die Auswahl nach politischen Kriterien stattfinden soll, dann müssen diese auch genannt werden. Welche Länder dann gemeint sind, das kann sich jeder an den Fingern abzählen. Irgendwelche „Probleme, die manche Länder zu Hause“ erst noch lösen müßten, reichen als Anhaltspunkte jedenfalls nicht.

Was Schäuble bezwecken wollte, als er unnötigerweise Länder beim Namen genannt und damit für Aufregung sorgte, ist sein Geheimnis. Erreicht hat er damit, daß der Eindruck verstärkt wurde, Deutschland wolle vorschreiben, wer in Europa was zu sagen habe. Und die eigentliche, die notwendige Diskussion darüber, nach welchen Kriterien die Europäische Union gestaffelt werden soll, die droht, nun in die Sackgasse zu geraten. Alois Berger, Brüssel

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