: Warum gehen Sie nicht in die Kirche?
■ ... obwohl die samt Steuer viel billiger ist als Ihre Gestalttherapie?
Wissen Sie eigentlich, warum Sie nicht in die Kirche gehen (und dennoch jetzt ins „Wort zum Montag“ hineinlesen)? Ich habe nämlich gleich drei Gottesdienste auf Lager, über die ich Ihnen nichts berichten will, den ersten in Rostock am Epiphanias-Samstag, wo ein halbes Schock Schwarzröcke in der klirrendkalten Marienkirche abwechselnd so erbarmungslos auf uns vereisende Masse eingepredigt hat, bis die Überlebenswilligsten das Gehen dem Kältetod vorzogen; den zweiten in Rostocks Petri-Kirche, geheizt, aber der Prediger kühl bis ans Herz hinan, und jedes Wort, das das verdecken sollte, verriet's; der dritte in Bremens Ansgariikirche, wunderbar geheizt.
Aber alles keine Berichtsanreize. Denn daß Kirche langweilig ist und einen kalt läßt, wissen Sie, geneigte taz-LeserInnen und Pastorentöchter, Pastoren ausgenommen, sowieso. Ich finde deshalb die Frage spannender, was eigentlich mal an Kirche dran war und ob das, was dran war, gestrichen oder ersetzt gehört und wenn ja, wodurch? Also: Wissen Sie, warum Sie nicht in die Kirche gehen? Mal abgesehen, meine ich, von dem linken Katechismus, wonach Religion Opium fürs Volk, Vertröstung aufs Jenseits, Verfestigung abspaltenden Denkens und außerdem die Ursache aller Greuel von Kreuzzügen bis 3.Welt-Unterwerfungen gewesen ist. Denn Sie, liebe LeserInnen, sind doch längst nicht mehr in die Kirche gegangen, bevor Sie diesen linken Katechismus gelernt haben.
Kirchegehen, habe ich gestern, als meine Gedanken in der 'Scharskarken' so ungefesselt herumwandern konnten, eine hier schon wiederholt angedeutete Kühnheit weitergesponnen, ist nämlich schön. Und diesmal meine ich nicht wegen des Singens und nicht nur, wie mir in St. Johann in den Kopf kam, weil die gemeinsame Vorstellung von einem Gott, der freundlich zu einem ist, vielleicht freundlicher miteinander macht, als man ohne diese Vorstellung wäre. (Ungefähr so, wie die gottlosen Grünen und früher die gottlose RAF mit all ihren dogmatischen Pastorenkindern.)
Gestern habe ich das dann noch ein bißchen weiter spekuliert. Ungefähr so: In der Kirche kann man seine oder ihre kindlichsten Geborgenheitssehnsüchte sich gegenüberstellen, kann sie als Gott Gestalt gewinnen lassen, genau wie in der Gestalttherapie seine Gefühle. Und man kann sprechen zu diesem Gott wie in der Gestalttherapie zum Kissen. Kann reden mit ihr bzw. ihm, kann um das bitten, was am nötigsten tut, kann danken. Beim Kissen der Gestalttherapie ist es doch auch wurscht, daß man weiß, daß das nur ein Kissen, bwz. ein eigenes Gefühl ist. Warum also soll es Abbruch tun, daß man weiß, daß dieser Gott selbstgemacht, selbstgedacht, daß er Ich ist. Wichtig ist doch gerade die formale Trennung vom Ich. Das In-eine-eigene –Form-geben, aus dem außer einigen Therapieformen auch das Theater lebt.
Also nochmal: Wissen Sie, warum Sie nicht in die Kirche gehen? Dann schreiben Sie's es an taz-Wozumo, vielleicht ist da Platz zum Veröffentlichen.
Uta Stolle
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