■ Urdrüs wahre Kolumne: Warum betrügt mich Annette?

In einer Zeit, da jeder selbstständige Ladenschwengel seine kaufmännischen Usancen bereits als Unternehmensphilosophie verkaufen darf ("Kanns für zwei Groschen mehr sein?“) -in einer solchen Zeit, war es denn wohl überfällig, was da am Wochenende dem Bremer Konzertpublikum angeboten wird: Kraft Suchard und die Deutsche Kammerphilosophie feiern 100 Jahre Jacobs Kaffee mit der Krönungs(!)messe von Mozart, und Beethoven ist mit „Die Geschöpfe des Prometheus“ in titanischem Konzert- Bewußtsein dabei. Mit Goethes „Faust“ begeht bald die Badische Tabakmanufaktur das Jubiläum der „roten Hand“, und die Krönung wäre unzweifelhaft das Requiem von Wolfgang Amadeus zur Errinnerung an jene Schweine, die im Dienst am Deutschländer-Würstchen ihr Leben lassen mußten...

Unweit des esoterischen Krämerladens Lichtgarten im Herzchen des Viertels unterbreitet ein munterer Knabe von vielleicht 9 Jahren dem Passanten trotz Eiseskälte auf dem Trotttoir das Angebot seines Freiluft - Bücherstands, und mit zielsicherem Griff wählt der literarisch interessierte Passant das Büchlein „Russen als Engel - authentische Begegnungen mit einem verkannten Volk“ aus dem Schnell-Verlag Warendorf. Obwohl Autor Gert-Dietrich Voigt im Nachspann selbst bekundet „Dieses Buch ist dramatisch, hochaktuell, wahrheitsgetreu : Glasnost auf dem Meer“ findet sich selbst in dem Werk, offenbar als Lesezeichen vergessen, der handgeschriebene Zettel „Warum betrügt und belügt mich Annette? Bin ich für sie nur eine Laune? Eine Abwechselung?“ Ja wenn wir alle Englein wären..!

Bleiben wir einstweilen im HeileHeileGänschen-Milieu und entdecken in einem ortsansässigen Magazin für ganzheitliche Lebenskunst den Prospekt „ Hotel Romantischer Winkel“ Dort bietet uns die Organisationsleiterin Bärbel Fricke (“Erlauben Sie mir ein vertrautes Du...“) nicht nur „Fliegen mit beiden Beinen fest auf der Erde“ und „Reichtumsbewusstsein - wie Innen, so Außen“ an, sondern auch ein Intensivtraining zum Glücklichwerden. Bei Oelkers im Romantischen Winkel an der Bismarckstraße in Bad Sachsa: Ein Schatzkästlein der Sinnsuche offenbar - und vielleicht von den Engeln selbst geleitet, denken wir mal.

Die Naturgesetz-Partei aber forderte dieser Tage auf einer Pressekonferenz in Frankfurt die Aufstellung eines Bundeswehr-Präventionsverbands mit 10.000 Yogischen Fliegern, denn mit dieser Vedischen Verteidigungstechnologie („Einführung bereits in Mosambik erfolgt“) will Oberstleutnant Günther Chasse den Bosnienkrieg von Deutschland aus beenden. Wenn das Hans Koschnick wüsste - im Schneidersitz könnte er vom Runden Kneipentisch im Kaiser Friedrich zu Bremen die ganze Welt befrieden.

Völlig durch ging die Kraft der positiven Vision bei jenem jungen Mann aus mutmaßlich Berlin - Kreuz/ oder Prenzelberg, der uns im 26er Bus nach der Haltestelle Weidedamm fragte und ohne Nachfrage unaufgefordert erläuterte.“ Wollnwa maln bißchen hin, die Leute da helfen gegen det Plattmachen, wa? Schätzema, wenn zwanzich Leute jut drauf sind da, denn jeht det klar!“ Jugend ist Trunkenheit ohne Wein - so wußte schon Geheimrat Goethe. Sollen wir alten Knacker aus diesen prallen Schläuchen besserwisserisch die Luft rauslassen, nur weil wir selbst schon seit Jahren einen Platten haben? Drauf und dran, Spieß voran.

U. Reineking-Drügemöller