: Warten auf Fury
■ Zwischen Trachtengruppen und HipHop-Jam rockten die Bremer „Call Me Names“ in Oldenburg knapp am „Local Heroes“-Titel vorbei
Wenn die Oldenburger den „Tag der Niedersachsen“ begehen, wirkt die allumfassende Fußgängerzone wie ein bayrisches Volksfest aus dem Werbefernsehen. Jedes Fast- Food-Restaurant, Kreditinstitut und Kaufhaus hat seine Trachtengruppe samt Keyboardspieler, der tontechnisch so tut, als sei er ein Akkordeonspieler. Schlechte Witterung konnte das Volk am Samstag nicht vom Feiern abhalten; es verwandelte sich kurzerhand in ein Meer von Regenschirmen und überflutete dergestalt das Stadtbild.
Obwohl es an allen Ecken und Enden viel zu gucken gab, versammelte sich die stattlichste Anzahl von Regenschirmen vor der „radion ffn“-Bühne nebst T-Shirt-Stand, nur einen Bierbecherwurf entfernt vom Schlager- und Oldie-Happening des NDR und dem Nachwuchs-HipHop-Jam, ohne den kein Stadtfest mehr auszukommen scheint. Nachwuchs wurde auch auf der Bühne des Hannoveraner Kommerzsenders gefördert, allerdings in weitaus größerem Rahmen. Hier sollte nach mehreren Vorrunden in verschiedenen Städten endgültig entschieden werden, welche von drei nordischen Bands den Titel „Local Heroes '95“ und das damit verbundene Preisgeld mit nach Hause nehmen durfte.
Den undankbaren Anfang im schlechtesten Wetter des Abends machten die Bremer „Call Me Names“. Wer sich mit der funkigen Jazz-Rock-Soul-Mischung nicht auf Anhieb anfreunden konnte, ergriff gleich die Flucht in trockenere Gefilde. ,Aber etliche Schirme blieben und wippten, während unter ihnen vereinzelte Jubelrufe zu vernehmen waren.
Das ständige Herumreiten der Sänger auf ihrer guten Laune und der des Publikums wurde vielfach belächelt, aber die meisten fanden die diesmal 12köpfige Band dann doch„echt geil, ne“. Dabei kannten die wenigsten „Call Me Names“. Viele waren nur in Bühnennähe geblieben, weil vorher „ffn“-Spaßvögel wie Onkel Hotte und Uschi ihre derben aber gar nicht mal immer unlustigen Späße abgezogen hatten. Andere waren „nur wegen Fury“ gekommen. Die unsäglichen Chart-Popper „Fury in the Slaughterhouse“ waren die Überraschungsgäste des Abends, was allerdings so leicht zu erraten gewesen war, daß „ffn“ dann doch Tage vorher die Katze aus dem Sack gelassen hatte.
Mit den Bands „Aktion Direkt“ aus Braunschweig und „Murphy“ aus Göttingen konnte die „Fury“-Fraktion wenig anfangen. Beide spielten oft gehörten Metal-Rap-Crossover. „Murphy“ taten das origineller aber auch musikalisch unbedarfter, „Aktion Direkt“ spielten karg und eben direkt und hatten Botschaften. So rappte der Frontmann in Jesus-Pose „gegen Glatzen“, was man immer leicht sagen kann, wenn gerade keine da sind.
Die meisten älteren ZufallszuhörerInnen wechselten dabei stirnrunzelnd den Standort, während einige vergnügt in den Knien federnd dablieben. Diese hielten sich vor allem in der Nähe des „kostenlose Weinproben“-Stands auf, riechbar aus gutem Grund.
Weil sich „Murphy“ mit einem poppigen Finale doch noch beim Publikum anbiedern konnten, bekamen sie letztlich den größten Beifall. Es reichte bei der Jury allerdings nur für den dritten von drei Plätzen. Auf Platz zwei schoß an diesem Tag mit „Call Me Names“ schon der zweite Bremer Verein knapp am Meistertitel vorbei. Schade, denn die unoriginellen Gewinner „Aktion Direkt“ könnten zu einem echten Ärgernis werden, wenn sie erstmal bekannt sind.
Das texanische Ehepaar, das sich an einem der etlichen Futterstände über flache Tacos beulkte und über den norddeutschen Regen tatsächlich freute, wird das wohl vor der Abreise nicht mehr erleben. Aber die beiden Touristen waren eh versöhnlich gestimmt, fanden alle Bands und den ganzen Tag der Niedersachsen überhaupt mitsamt Volkstanz und Stimmungskapellen ziemlich „nice“.
Da störte es nicht weiter, daß das Gedränge vor dem „Fury“-Auftritt solche katastrophenfilmartige Ausmaße annahm, daß man eigentlich die ganze Stadt aus Sicherheitsgründen hätte räumen müssen, schließlich gab es da noch Peggy March und die sang auf der NDR- Bühne eine Acapella-Version ihres Hits „Mit 17 hat man noch Träume“ . Die hat man in Texas auch.
Andreas Neuenkir-chen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen