Warnstreiks im öffentlichen Dienst: Angst um das Altersgeld
Die Protestaktionen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst beginnen. Sie fordern mehr Lohn. Aber auch den Erhalt der attraktiven Betriebsrente.
Zum Auftakt in München und Nürnberg soll es Protestaktionen geben, außerdem in Bayern in Augsburg, Bayreuth, Marktredwitz, Regensburg und Schwandorf, wie weiter Verdi mitteilte. Im niedersächsischen Peine hat die Gewerkschaft zum Streikfrühstück aufgerufen. Auch die staatlichen Kitas in der Stadt sollen schließen. Kurzfristige Aktionen sind zudem unter anderen in Bremen, Stade und Lüneburg geplant. Der dbb Beamtenbund lädt in Bremerhaven zu einer Kundgebung. Warnstreiks sind auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen geplant. So sollen am Dienstag in der Region Leipzig mehrere Kitas in den Morgenstunden geschlossen bleiben. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ruft Ende der Woche zu „betrieblichen Aktionen“ in Kitas auf, erklärte Sprecher Ulf Rödde.
Der kommunale Arbeitgeberverband VKA kritisierte die Ankündigungen als nicht nachvollziehbar. Insbesondere Kitas sollten nicht schon wieder bestreikt werden, so VKA-Präsident Thomas Böhle. Tatsächlich streikten Kita-Erzieher erst im vergangenen Jahr über Wochen. Damals ging es um die spezielle Gehaltstabelle für den Sozial- und Erziehungsdienst und nicht wie jetzt um reguläre Tarifverhandlungen.
Kommenden Montag findet das zweite Treffen der Tarifrunde 2016 statt. Darin verhandeln die Arbeitgeber mit Verdi und dem Beamtenbund dbb über Entgelterhöhungen für die rund 2 Millionen Beschäftigten bei Bund und Kommunen, darunter ErzieherInnen, Müllwerker, Behördenmitarbeiter und PflegerInnen. Verdi fordert 6 Prozent mehr Lohn und 100 Euro mehr im Monat für die Auszubildenden. Außerdem sollen nach dem Wunsch der Gewerkschaft die sachgrundlosen Befristungen in Arbeitsverträgen abgeschafft werden.
Heikel: die betriebliche Altersvorsorge
Das heikelste Thema: Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) möchte in dieser Tarifrunde die betriebliche Altersversorgung für die Beschäftigten kappen. „Das ist ein hoch emotionales Thema“, sagt Rödde, „viele der Beschäftigten etwa im Erziehungsdienst haben bedingt durch die Teilzeitarbeit schon geringe Ansprüche in der gesetzlichen Rente. Wenn jetzt auch noch bei der betrieblichen Altersversorgung gekürzt wird, erzeugt das Angst vor Altersarmut.“
Nach dem bisherigen System der betrieblichen Zusatzversorgung wird Beschäftigten ein fiktiver Anteil von 4 Prozent vom Bruttoeinkommen als künftige Betriebsrente zugesagt, wobei dieser Betrag in der Erwerbsphase mit 3,25 Prozent fiktiv verzinst wird, in der folgenden Rentenphase dann mit 5,25 Prozent pro Jahr. Der Arbeitgeberverband VKA bezeichnet diese Kalkulation, die im Jahre 2001 festgelegt wurde, angesichts der höheren Lebenserwartung und anhaltenden Niedrigzinsphase als nicht mehr zeitgemäß und fordert in einem Papier eine „Korrektur künftiger Leistungsansprüche“.
Nach einem ähnlichen Konflikt in den Tarifverhandlungen über die Angestellten und Beamten der Bundesländer im vergangenen Jahr wurden letztlich die Arbeitnehmerbeiträge für die Betriebsrenten angehoben. Bei den Angestellten der Kommunen liegen diese Beiträge – regional unterschiedlich – derzeit zwischen null und zwei Prozent des Bruttogehalts.
Jonglieren mit Zahlen
Ansonsten jonglieren die Verhandlungspartner in der Tarifrunde mit Zahlen, um ihre Interessen zu untermauern. Die VKA verweist in ihrem Papier darauf, dass die Löhne im öffentlichen Dienst zwischen 2008 und 2015 nominal um 23,9 Prozent gestiegen seien, während die Entgelte in der Gesamtwirtschaft etwas schwächer zulegten. So haben laut VKA-Tabelle im Jahre 2008 Müllwerker als Einstieg 1.575 Euro brutto verdient, heute liege dieses Entgelt bei gut 2.000 Euro.
Die Gewerkschaft Verdi errechnet allerdings im gleichen Zeitraum eine höhere Lohnsteigerung in der Gesamtwirtschaft als im öffentlichen Dienst und verweist daher auf den „Nachholbedarf“ der Staatsbediensteten. In Deutschland gibt es nach Auskunft des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts drei Tarifstatistiken, WSI, Destatis und Bundesbank, mit etwas unterschiedlichen Berechnungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“