: Warm und schwarz im Herbst
■ Europas größtes Krimi-Festival in Grenoble
Wolfgang Reutz
Vor der Winterolympiade im Jahre 1968 kannte ich Grenoble nur im Zusammenhang mit Walnüssen. Seit dem Festival du Polar (dem zehnten), das Mitte Oktober stattfand, ist das anders.
Samstag nachmittag, Diskussion: Schwarzer Roman/Weißer Roman - Wer betrügt? Eine Dame in schwarz-weiß stellt die Frage nach dem psychoanalytischen Moment, der wahren Recherche nach einer Figur im Roman. Robin Cook (seine Romane sind sehr schwarz), ein dürrer, schrulliger englischer Krimiautor, antwortet mit versoffen-verrauchter Stimme: „Wenn ich mich an den Charakter einer Figur heranmache, ergeht es mir immer wie bei nächtlichem Heißhunger: Ich öffne eine Büchse Ölsardinen und stelle fest: Es stinkt!“ Und: „Wenn ich einen Tod beschreibe, dann ist das jedesmal mein eigener...“ Keine weiteren Fragen der Dame zur Tiefenpsychologie.
Die Krimischreiber, die ausländischen jedenfalls, das ist eine selten amüsante Szene und ein Sammelsurium illustrer Biographien. Fast alle kennen sich untereinander, betrachten sich nicht als Konkurrenten, sondern als Kollegen oder Freunde. Allerdings, kaum einer kann von seinen Romanen allein leben (Patrick Raynal zum Beispiel macht zum Zwecke des Broterwerbs in Versicherungen). Trotz viel menschlicher Wärme ist ihr Stoff schwarz - oder auch, wie beim neueren französischen Krimi, durchaus lustig („Eine normale Kugel vom Kaliber 7,65 streifte Thian an der Schulter, prallte von der Decke zurück, riß ein Büschel schalldichtes Polyester aus der Wand und beruhigte sich dann.“ (Pennac, La Fee Carabine). Da alle auch mindestens ebenogut feiern wie schreiben können, ist das Festival du Polar auch ein echtes Fest.
Die meisten von ihnen kamen in einem eigens von der französischen Eisenbahn eingerichteten „Train Noir“ aus Paris, dessen herausragendstes Element ein Barwaggon war, in dem unablässig Gratischampagner floß. (Die Zugfahrt dauerte zirka sechs Stunden...) Und ich Trottel bin mit dem Auto angereist!
An die 60 Krimiautoren aus aller Welt waren eingeladen, darunter Prominente wie J. van de Wetering, James Crumley, Julian Semionow, Vasquez Montalban, Stuart Kaminsky, Ed McBain, Kyotoro Nishimura und als einziger Deutscher Fred Breinerdorfer, der Chef der Krimi-Vereinigung „Syndikat“.
Und natürlich jede Menge Franzosen: Arnaud, der an die 400 Krimis geschrieben hat, Jean Vautrin und Baudin, ein Intimfreund Vians - Leo Malet, der Vorreiter des neuen französischen Krimis, mittlerweile fast 80, war leider „fatigue“ und mußte absagen, aber: “...ich träume im mer noch von hübschen Mädchen...“ - und die gesamte junge Generation. Patrick Musconi zum Beispiel (er ist Mitbegründer von „Sanguine“ und verhalf vielen seiner Freunde zu Veröffentlichungen bei Gallimard), Patrick Raynal, Jean-Bernard Pouy, Tito Topin und der neue große Star Daniel Pennac (nominiert für den diesjährigen „Dashiel -Hammett-Preis“ für den besten Krimi der Welt) und viele, viele andere.
Grenoble ist eine charmante Stadt, ein wenig abseits in den Alpen, was den Vorteil hat, daß man dort weder auf Pariser Arroganz noch auf reiche Langeweile a la Cote d'Azur trifft. So sind die Straßencafes an den Plätzen der wunderschönen Altstadt bei noch fast sommerlichen Temperaturen ein verlockender Treffpunkt für Freunde des Müßiggangs. Für vier Tage im Jahr ist die Stadt „schwarz“. Der Bahnhof macht auf Chikago, die Post veranstaltet Agatha-Christie-Rätsel, und selbst in den Schaufenstern der Kaufhäuser werden Thriller -Szenen nachgestellt. Blut fließt allerorten.
Es gibt Filmpremieren und Retrospektiven (zum Beispiel Melvilles Bob le Flambeur oder Sternbergs Macao), Photoausstellungen, Diskussionen (zum Beispiel um Jack the Ripper) und auch Comics, darunter einer, den Didier Savard nach einem Szenario zeichnete, das zusammen mit Insassen des Grenobler Knasts geschrieben wurde und demnächst in der Zeitschrift 'A suivre‘ veröffentlicht wird.
Zentrale Veranstaltung aber ist der Salon du Livre, eine Krimi-Buchmesse. Viele junge Autoren sind da. Sie kommen zum Teil aus der „Scene“, schreiben böse, rotzig, witzig und für Deutschland manchmal ziemlich ungewöhnlich. Wie Patrick Raynal. Seine Romane spielen immer in Nizza, aber nie an der Promenade des Anglais, sondern in den Vierteln hinter der Demarkationslinie des Tourismus. In Pouys Roman La Peche aux Anges (Geld für kleine Engel, rororo) zitiert der Held, ein Zigeuner, immer auf seine ganz eigene Weise Wittgenstein, und Pennac schließlich hat ein spannendes Kriminalmärchen mit Realbezug zu Belleville, dem Kreuzberg von Paris, geschrieben (La Fee Carabine), wo Omas im Einkaufskorb Revolver mitschleppen, Rentner koksen und ein Polizist als vietnamesische Witwe verkleidet auf Täterjagd geht.
Man erfährt beim Festival du Polar etwas von ausländischen Strömungen, Andreu Martin zum Beispiel steht für den neuen katalanischen Kriminalroman, oder über Lateinamerika. Argentinien, Mexiko und Kuba (!) produzieren fesselnde Thriller. Drei aktuelle kubanische Autoren (Acuna, Reoba, Valeo), die sozialkritische oder Spionageromane schreiben, haben innerhalb von nur einem Monat jeweils eine Auflage von 60.000 im eigenen Land erreicht (bei nur zehn Millionen Einwohnern).
Selbstverständlich gibt's auch Preise. Gewinner des „Grand Prix de la Litterature Policiere“ ist Tito Topin (Un Gros Besoin d'Amour). Er wurde 1932 in Casablanca geboren, wo auch sein Roman spielt. Der „Prix du Festival“ ging an James Ellroy (The Black Daliah).
Nicht zu vergessen, daß es in Frankreich auch phantastische Kinderkrimis gibt (beispielsweise die Reihe Souris NoirSchwarze Maus).
Grenoble-Polar schwärzt und wärmt die Seele, vor allem angesichts einer Krimileidenschaft in Deutschland, die allzuoft nur von langweilig-biederen Tatortautoren bedient wird.
Wenn dann abends um 22 Uhr der Salon geschlossen wird und alles gesagt, aber noch längst nicht alles getrunken ist, geht man hinunter in den Keller, wo im „Cabaret de la Derniere Chance“ drei Bands bis zum Morgengrauen dafür sorgen, daß das Festival auch Fest ist.
Kein Größenwahn stärkt bei Grenoble-Polar das Selbstvertrauen der Schreiber. Ein äußerst sympathisches Festival.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen