: Warlords im Häuserkampf
Nachdem Kongos Präsident Kabila in der Hauptstadt Kinshasa die Wahlen verloren hat, stellt er die Machtfrage mit der Waffe
VON DOMINIC JOHNSON
Nachdem Kongos Wahlvolk seinen Staatschef Joseph Kabila und den früheren Rebellenführer Jean-Pierre Bemba in eine Stichwahl gegeneinander um das Amt des Präsidenten geschickt hat, ziehen es die beiden Spitzenpolitiker vor, die Machtfrage mit der Waffe zu klären. Seit Sonntagabend liefern sich Kabilas Präsidialgarde und Bembas persönliche Garde mitten in der Hauptstadt Kinshasa schwere Gefechte. Erst gestern Abend war eine Entspannung in Sicht, als Kabila den Rückzug seiner Garde versprach.
Ihren Höhepunkt erreichten die Kämpfe am Montagabend, als Kabilas Garde stundenlang mit schweren Waffen auf Bembas Residenz im Stadtzentrum feuerte. In dem schmucken Gebäude am Kongo-Fluss saßen gerade die internationalen Diplomaten der Botschaftergruppe Ciat (Internationales Komitee zur Begleitung des Übergangsprozesses) zu Gesprächen mit Bemba, als der Kanonendonner einsetzte. Bembas Privathubschrauber ging in Flammen auf. Die Diplomaten, darunter der Deutsche Reinhard Buchholz, flüchteten in den Keller und mussten am Abend von 150 UN-Soldaten mit EU-Geleitschutz evakuiert werden.
Der gezielte Angriff der Kabila-Garde widerlegte erste Mutmaßungen über eine eher zufällige Eskalation lokaler Streitereien, die nach den ersten Kämpfen am Sonntagabend noch die Runde gemacht hatten. Damals hatte zunächst die Polizei versucht, zwei Fernsehsender Bembas zu schließen. Es gab sechs Tote, nachdem die Präsidialgarde mit schweren Waffen eingriff.
Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation „Voix des Sans-Voix“ (VSV) erbeuteten Bembas Militärs bei diesen ersten Auseinandersetzungen einen Jeep der Präsidialgarde. Dies sei der Anlass für die erneute Eskalation am Montag gewesen: „Sechs Kampfpanzer der Garde zogen am Montagnachmittag los, um ihre Opfer zu rächen und den als Geisel genommenen Jeep zurückzuholen“, berichtete VSV. Unbestätigten Meldungen zufolge sollen auch zwei Gardisten von Bembas Militärs gefangen genommen worden sein.
Gestern Abend, nach mehrstündigen Verhandlungen mit der UNO und den internationalen Diplomaten, sagte Kabila zu, seine Truppen auf ihre früheren Positionen zurückzuziehen und eine internationale Überprüfung des Rückzugs noch am Abend zuzulassen. Im Laufe des Tages hatte sich bereits der kongolesische Generalstab getroffen, in dem Vertreter aller früheren Bürgerkriegsfraktionen sitzen. Eine angekündigte öffentliche Erklärung der Militärführung wurde jedoch verschoben. Im Kabila-kontrollierten Staatsfernsehen wird in regelmäßigen Abständen ein Appell eines hohen Generals an alle Soldaten ausgestrahlt, in ihren Kasernen zu bleiben – befolgt wird das nicht.
Am Vormittag hatte der Beschuss der mittlerweile von UN-Soldaten bewachten Residenz Bembas durch Kabilas Garde gestern periodisch angehalten, wenngleich auf geringerem Niveau. Ein UN-Sprecher sprach von 25 Toten seit Beginn des Beschusses. „Wir schützen Bembas Residenz, und Bembas Residenz wird beschossen“, beschrieb ein UN-Mitarbeiter die Konstellation. Ohrenzeugen sprachen außerdem am Vormittag von einem Angriff auf Kinshasas Zentralgefängnis Makala. Berichte, wonach bewaffnete Einheiten die Kontrolle über Kinshasas internationalen Flughafen übernommen hätten, wurden später dementiert, aber der internationale Linienflugbetrieb ist seit Montagabend lahmgelegt.
Die UNO will nun ebenso wie die EU-Truppe ihre Präsenz verstärken. „Ich denke, dass wir den Punkt für reine Vorsichtsmaßnahmen überschritten haben. Es wird jetzt notwendig, Teile der Stadt abzusichern“, sagte Monuc-Sprecher Kemal Saiki.
Ähnlich wie bereits am Vortag traute sich kaum einer der acht Millionen Einwohner Kinshasas auf die Straße. Die Zufahrtswege ins zentrale Stadtviertel Gombe waren abgesperrt. „Die Armee schickt die Leute zurück nach Hause“, berichtete ein Bewohner des südlichen Stadtteils Matonge. Ob es reguläre Soldaten, Präsidialgardisten oder Polizisten waren, konnte er nicht sagen.
Die äußeren Stadtbezirke, wo die Mehrheit der Bevölkerung wohnt, blieben größtenteils ruhig, aber angespannt. „Hier und da geraten Leute und Polizei in Streit, und am großen Markt gab es Kämpfe zwischen Präsidialgarde und der Bevölkerung“, berichtet ein Jugendführer aus Kinshasas größtem Armenviertel Masina. „Wir wissen aber nicht wirklich, was los ist. Versucht Kabila zu putschen? Jedenfalls werden die paar Sicherheitskräfte hier nichts gegen die Bevölkerung ausrichten können.“
Die politischen Gründe für den Krieg der Warlords bleiben im Dunkeln – keiner der Kontrahenten hat sich öffentlich geäußert. „Kabilas Militärs wollen die bewaffneten Anhänger Bembas aus Kinshasa vertreiben“, glaubt eine zivilgesellschaftliche Aktivistin. „Es ist eine Kraftprobe.“ Tatsächlich scheint Kabila mit gezielten, aber begrenzten Aktionen seine Vormachtstellung in Kinshasa beweisen zu wollen, nachdem die Wähler der Hauptstadt ihm eine deutliche Abfuhr erteilten. Der Staatschef kam mit lediglich 14,5 Prozent in Kinshasa auf den dritten Platz, hinter Bemba (48,5 Prozent) und den zivilen Oppositionellen Antoine Gizenga (22,8 Prozent) – landesweit erreichte Kabila knapp 45 Prozent gegenüber 20 für Bemba. Nach dieser Demütigung, vermuten manche, will Kabila militärisch klarstellen, dass niemand ihm in der Hauptstadt ungestraft die Stirn bieten kann.