■ War Goethe Muslim? Eher nicht, auch wenn er unter Muslimen wohlbekannt ist. Ein Interview mit dem arabischen Übersetzer Hussein Al-Mozany zur Rezeption deutscher Literatur in der arabischen Welt Von Mona Naggar: Gespenstische Realität wie bei Kafka
Literatur transportiert die Kultur eines Landes. Doch die Präsentation deutscher Literatur in der arabischen Welt bleibt dem Zufall oder der schrumpfenden Vertretung der Goethe-Institute überlassen. Der Kölner Al-Kamel-Verlag will deutsche Schriftsteller arabischen Lesern näher bringen: Rilke, Musil oder Zeitgenossen wie Nicolas Born
taz: Die deutschsprachige Literatur ist im arabischen Raum im Vergleich zur französisch- oder englischsprachigen Literatur unterrepräsentiert. Warum?
Hussein Al-Mozany: Die deutschsprachige Literatur kommt vom Bekanntheitsgrad hinter der französisch- und englischsprachigen, aber noch vor der russischen und spanischsprachigen Literatur. Die deutsche Sprache ist eben wenig bekannt. Der Grund liegt nicht so sehr darin, daß Deutschland keine Kolonien in der arabischen Welt hatte, sondern vielmehr, weil Deutschland keine Universitäten dort unterhält – wie die Amerikaner beispielsweise. Hinzu kommt, daß die Deutschen sich wenig kümmern um die Übersetzung ihrer Literatur. Sie überlassen es dem Zufall. Anders dagegen die Franzosen. Sie bemühen sich sehr um Übersetzungen, obwohl ihre Literatur bereits verbreitet ist.
Welche Namen von deutschsprachigen Autoren sind in der arabischen Welt bekannt?
Nach Shakespeare ist zweifelsohne Johann Wolfgang von Goethe der bekannteste ausländische Schriftsteller in der arabischen Welt. Es gibt sogar Leute, die behaupten, Goethe wäre ein Muslim gewesen. Er habe angeblich mit muslimischen Soldaten in der russischen Armee, die Napoleon besiegt hat, in Berlin zusammen gebetet. Dann habe er eigenhändig den Namen Gottes auf arabisch als letzten Wunsch geschrieben. Dies ist eher eine Art Suche nach geistiger Stütze oder Identität. Die Araber suchen immer nach Freundschaften auch im literarischen Sinn. „Die Leiden des jungen Werther“ sind 1919 übersetzt worden. „Faust“ liegt ebenfalls auf arabisch vor.
Hatte Goethe Einfluß auf die arabische Literatur?
Nein, der Einfluß von Goethe blieb gering. Eine größere Rolle spielte Nietzsche. Seine Werke sind erstmals über das Türkische, Englische und Französische im arabischen Raum bekannt geworden. Deutliche Spuren sind zu entdecken bei einem der wichtigsten Vertreter der aufkommenden modernen arabischen Literatur Amin ar-Raihan und bei dem Aufklärer und Bürgerrechtler Schibli Schumayyil. Beide lebten um die Jahrhundertwende. Weitere Beispiele deutschsprachiger Schriftsteller, die in der arabischen Welt bekannt wurden, sind Hölderlin, Kafka, Rilke, Brecht, Schnitzler, Celan.
Neuerdings auch Peter Handke.
Ja, dafür sind andere Schriftsteller gänzlich unbekannt: George, Musil, Tucholsky, Bachmann, Hildesheimer, Broch. Was übersetzt wird oder nicht, ist willkürlich. Ich denke, daß die Verbreitung bestimmter Werke und Autoren im englisch- und französischsprachigen Raum die Aufmerksamkeit der Araber auf sie lenkt und sie zur Übersetzung anregt.
Gibt es deutschsprachige Autoren, die Einfluß auf zeitgenössische arabische Schriftsteller gehabt haben?
Natürlich, und viele geben es nicht zu. Nagib Mahfus beispielsweise sagt, daß „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann ihn in seiner Trilogie beeinflußt hätten. Der Erzähler Edward Al-Kharrat, ebenfalls aus Ägypten, nennt den „Zauberberg“, den er auf englisch gelesen hat. Und dann immer wieder Kafka: bei dem Syrer Zakaria Tamer etwa in seiner Kurzgeschichte „Der Keller“. Auch bei dem Ägypter Sanallah Ibrahim in seinem Roman „Der Prüfungsausschuß“, der übrigens auch auf deutsch vorliegt. Der Erzähler Gamal al-Ghitani gibt zu, stark von Kafka beeinflußt worden zu sein, und sagt, überall, wo er hingeht, nimmt er die Bücher dieses Autors mit.
Kafka wird allgemein viel gelesen in der arabischen Welt. Warum?
Diese gespenstische Situation der Araber, die Unsicherheit und Unfreiheit, die ständige Angst vor der unsichtbaren Macht der Behörden, vor den Sicherheitsorganen der arabischen Staaten – das alles beherrscht die arabische Szene seit Jahrzehnten. Durch diese Atmosphäre fühlen sich die Menschen durch Kafka verstanden.
Sie übersetzen gerade Werke von drei sehr unterschiedlichen Autoren: Robert Musil, Rainer Maria Rilke und Nicolas Born. „Drei Frauen“ von Musil ist just zum ersten Mal auf Arabisch erschienen, „Die Fälschung“ von Born ist in Vorbereitung, „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ von Rilke ebenfalls. Warum gerade diese drei?
Was mich bei Rilke und Musil angezogen hat, ist ihre tiefe Tragik, ihre Trauerstimmung und Selbstkritik. Ich bin Araber und fühle mich wie viele Araber von der Geschichte und vom Schicksal verraten, enttäuscht und hinausgeworfen. Als Nation fühle ich mich sozusagen allmählich dem Verschwinden nahe. Vielleicht brauche ich eine Trauernische. Außerdem kommt noch mein Schiitentum hinzu. Das erklärt meine Neigung zur Trauer, zur Schuld, zum Drang nach innerer Reinigung und Befreiung. Vielleicht neige ich, auch ohne Schiit zu sein, zu diesen Eigenschaften. Schließlich waren Musil und Rilke auch keine Schiiten.
Wie haben Sie den Roman „Die Fälschung“ von Nicolas Born für sich entdeckt?
Durch Zufall. Ein Freund von mir hat mich darauf aufmerksam gemacht. Der Roman gilt als typisch deutsch, könnte aber auch ein arabischer Roman oder spezifisch für Araber geschrieben sein. Dieses Werk muß es in arabischer Sprache geben, finde ich.
Weil es von der Reise eines deutschen Journalisten ins Beirut während des Bürgerkriegs handelt?
Ja, es ist wichtig, daß arabische und insbesondere libanesische Leser wissen, was ein Unbeteiligter, in diesem Fall ein Deutscher, über ihren Krieg denkt. Born geht in seinem Roman sehr kritisch mit den Arabern um. Er zeigt die Sinnlosigkeit und Blutrünstigkeit dieses 15jährigen Krieges. Heute sehen die Libanesen es selber ein.
Zurück zu Musils „Drei Frauen“. Was reizt arabische Leser an diesem Novellenband?
Zunächst: Musil ist kein einfacher Autor. Er schreibt über seine eigenen Enttäuschungen, in der Liebe beispielsweise. Er ist eine tragische Figur. Er betreibt Selbstkritik bis zur Vernichtung. Ein Element, das auch in der arabischen Welt anzutreffen ist. Die Araber haben auch eine Neigung, sich selbst zu zerfleischen. Dann gibt es Themen bei den „Drei Frauen“, die direkt mit der arabischen Wirklichkeit zu tun haben – Liebe und Eifersucht beispielsweise. Besonders der letzte Punkt beschäftigt uns Araber sehr.
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