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Wandel in Südkorea

Wiedervereinigung erst nach der Ära Kim Il Sung  ■  E S S A Y

Die Republik Korea hatte lange Zeit ein verheerendes Image in der internationalen Staatengemeinschaft: ein Staat, der davon lebt, minderwertigen Ramsch zu produzieren, und von einer brutalen Militärdiktatur regiert wird. Seither hat sich Südkorea wirtschaftlich beeindruckend entwickelt, politisch bietet das Land heute ein widersprüchliches Bild: Seit dem Referendum vom Oktober 1987 und den Wahlen vom April 1988 hat die von Präsident Roh Tae Woo geführte Regierung ohne Zweifel eine Legitimität wie keine bisherige koreanische Regierung.

Auf den ersten Blick sichtbar ist ein grundlegender Wandel in der Zusammensetzung der politischen Elite. Die heutige das Land regierende Machtgruppe basiert auf komplizierten, äußerst widersprüchlichen Koalitionen. Im Vergleich zu früher könnte man von einer Entmilitarisierung, Internationalisierung und Intellektualisierung der Elite sprechen. Die Hardliner haben die Uniform ausgezogen, tragen Zivil und haben sich in vielen Bereichen eindeutig ins zweite Glied zurückgezogen. In den ersten Reihen, auf dem Präsentierteller, finden sich zahlreiche Businessmen und Intellektuelle mit internationalem Background. Viele von ihnen haben in der Zeit der Diktatur auf unspektakuläre Weise das Land verlassen und sind auf ebenso unspektakuläre Weise in der Periode der allmählichen Liberalisierung wieder heimgekehrt.

Die Städte - und 57 Prozent der etwa 42 Millionen Südkoreaner leben in Städten - werden allmählich von einem neuen Soziotypus dominiert: einer Art asiatischem Yuppie -Citoyen. Es ist dieser Teil der neuen Koalition, der gemeinsam mit den intellektuellen Mitgliedern der neuen Elite für jenen Slogan verantwortlich ist, der im Moment die ideologische Grundlage des südkoreanischen nationalen Konsenses liefert: „Industrialisierung ist die Voraussetzung der Demokratisierung.“

Eine der den Fremden überraschenden Grundstimmungen der koreanischen Gesellschaft ist eine Art kollektiver Wut: Warum sind ausgerechnet wir, ein friedliches Volk, das nie ein Nachbarland angegriffen hat, seit Jahrhunderten das Austragungsfeld internationaler Konflikte. Wer über die Probleme des geteilten Korea spricht, sollte sich daher hüten, den Vergleich mit Deutschland zu ziehen. Der Vergleich wird als kränkend erlebt: Die deusche Teilung gilt als auf Grund aggressiver Politik selbstverschuldet, die koreanische nicht - doch auch die Teilung des Landes produziert jene kollektive Wut, die im Wunsch, weiter zu industrialisieren, ausgedrückt wird.

Wer Demokratie als die Möglichkeit, öffentliche Amtsträger zu wählen, versteht - und dieses Verständnis des Begriffes dominiert praktisch die politische Kultur des Westens - kann dieses Versprechen ernst nehmen: Wenn die Ankündigungen realisiert werden, wird ab 1990 auf zahlreichen gesellschaftlichen Ebenen gewählt werden. Gemessen am amerikanischen Demokratieverständnis, hat sich Südkorea wohl „normalisiert“.

Wer Mitglieder der politischen Elite die Frage stellt: „Was wollen die Studenten eigentlich?“, erhält zunächst einmal Antworten voll väterlicher Besorgnis. Doch dann beginnt die Differenzierung: Die Hardliner stellen die radikalen Studenten verächtlich als Agenten des kommunistischen Nordens dar. Das ist eine Neuauflage ihrer traditionellen Ideologie: der Norden als Sündenbock für alle sozialen Probleme des Südens. Natürlich ist diese Annahme nicht ganz falsch: Eine Minorität der oppositionellen Studenten steht unter nordkoreanischem Einfluß - auch in der bundesrepublikanischen 68er-Bewegung haben manche in der DDR das „bessere Deutschland“ gesehen. Doch ein Großteil der studentischen Opposition kommt aus den Eliteuniversitäten, sie können mit der engen, am Personenkult um Kim Il Sung orientierten nordkoreanischen Realität wohl wenig anfangen.

Mit ihrer hartnäckigen Opposition gegen die personellen Kontinuitäten in der politischen Elite drücken die Studenten sicherlich eine breite Stimmung in der Bevölkerung aus. Mehrheitsfähig ist wohl auch eine andere ihrer Positionen: ihr vehementer Antiamerikanismus. Als Alternative zur amerikanischen Hegemonie setzen die Studenten auf eine „Rekoreanisierung“. Auch hier liegen sie im nationalen Trend. Im kulturellen Leben Koreas gibt es derzeit einen spannenden Widerspruch: einerseits eine vollendete Amerikanisierung mit Comics, andererseits die von der Regierung geförderte Rekoreanisierung der Kultur.

Ein anderer Punkt, an dem die südkoreanischen Studenten durchaus einen nationalen Konsens zum Ausdruck bringen, ist die Frage der Wiedervereinigung: „Why not unification“ und „Unification right now“ fordern sie auf ihren Spruchbändern

-und damit werden sie in gewisser Weise tatsächlich zum Vollstrecker nordkoreanischer Propaganda. Die Verhältnisse im geteilten Korea sind ja international einzigartig: Es gibt keine Post, Telefon oder Grenzverkehr zwischen den beiden Staaten. Seit etwa 20 Jahren bombardiert Pjöngjang den Süden und die Weltöffentlichkeit mit durchaus phantasievollen Vorschlägen zur baldigen Wiedervereinigung, die nachhaltiges internationales Echo finden. Doch diese Vorschläge haben immer einige Pferdefüße. Pjöngjang weigert sich, mit einer „amerikanischen Marionettenregierung“ zu verhandeln und fordert als Voraussetzung den Abzug der US -Truppen, was die südkoreanische Position in unerträglicher Weise schwächen würde. Der Süden wiederum schlägt seit Jahrzehnten weniger spektakuläre „Normalisierungen“ vor: Post- und Telefonverkehr, Reiseverkehr etc., Vorschläge, die vom Norden mit dem Hinweis, daß sie die Teilung des Landes verewigen würden, abgelehnt werden. Immer wieder gibt es Kontakte zwischen den beiden Staaten auf niederer diplomatischer Ebene, die regelmäßig international eine gewisse Wiedervereinigungseuphorie auslösen. Doch nach solchen Kontakten ereignen sich regelmäßig seltsame Zwischenfälle: Tunnel, die der Norden unter der demilitarisierten Zone rund um Panmunjong gegraben hat, werden entdeckt, in Burma wird die halbe südkoreanische Regierung getötet und nordkoreanische Agenten sprengen eine südkoreanische Maschine in die Luft. Das schwächt die Position der auf einen Ausgleich mit dem Norden orientierten liberalen Mitglieder der „neuen“ Elite und stärkt die Position jener Institution, die die Kontakte mit dem Norden monopolisiert hat, der National Security Planning Agency (NSPA), einer zentralen Machtposition der Hardliner.

Den Führern der parlamentarischen Opposition ist klar, daß es zu Lebzeiten Kim Il Sungs kaum konstruktive Gespräche zwischen den beiden Staaten geben wird - der „geliebte und verehrte“ Führer will Südkorea befreien. Doch Kim Il Sung ist ein Greis, und trotz der Inthronisation seines Sohnes Kim Dschong Il, des „geliebten“ Führers, als Nachfolger weiß niemand, wie sich die Volksrepublik nach seinem Tod entwickeln wird. Ein spannender Wettlauf, den die NSPA, wo es nur geht, behindert, findet also innerhalb der südkoreanischen Parteienlandschaft statt: Wem gelingt es als erstem, in Pjöngjang einen realistischen und einflußreichen Ansprechpartner für die Zeit nach Kim Il Sung zu finden?

Alfred Pfabigan

Alfred Pfabigan ist Philosoph an der Universität Wien. Er beschäftigt sich seit Anfang der siebziger Jahre mit Nord und Südkorea. Pfabigan ist Autor von „Schlaflos in Pjöngjang“, des derzeit besten Buches über Nordkorea.

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