Wand und Boden: Das Deutsche Handwerk lebt
■ Kunst in Berlin jetzt: Das kleine Format, auch bei Gerhard Merz; Storno, Raschke und Rogler, Milev, Dittmer, Jung
„Das Deutsche Handwerk“ lebt derzeit in der Produzentengalerie Broschwitz auf. Thomas K. Raschke baut aus feingewellter Pappe definierbare und undefinierbare Modelle. Ein pummeliges Flugzeug, ohne Fenster und Propeller, überflüssige, die archetypische Form störende Einschnitte oder Anbauten. Ein mächtiger Zug ist leicht nach hinten gekippt, seine Räder sind außerdem oval verformt, Geschwindigkeit versinnbildlichend. In Glasvitrinen aufgebaut, wird das Museum, die Ausstellung erinnert. Eher aber das Technische oder Kunstgewerbemuseum als das Kunstmuseum.
Daher hängen die kleinformatigen Gemälde und Zeichnungen von Sebastian Rogler auch frei an der Wand, wie es sich für Kunst gehört. Zwei Portraits tragen den Titel „Langweiliges Bild“. Die 24 Zeichnungen binden in Collagetechnik auch Fotos und Texte ein. Eine brave Druckgrafik aus dem Anfang des Jahrhundert zeigt ein Fräulein, dem die Worte „Haben Sie schon mit einem Neger geschlafen“ beigestellt sind. Ein anderes Fräulein tropft gelb zwischen den Beinen, und ein drittes ist als Akt auf ein Weckglas aufgemalt, wobei die untere Körperhälfte sinnigerweise eben durch die Büchse von Weck repräsentiert sein soll. Eine andere Zeichnung behauptet „Hitlers Freundin hat Aids“. Auf die Frage, ob das alles nicht etwas misogyn daherkommt, und warum eigentlich Hitlers Freundin Aids hat und nicht sein schwuler Stabschef Röhm, werden frauenfeindliche Anklänge selbstredend verneint. Die Ersetzung der Freundin durch den Freund allerdings, „das wäre doch schwulenfeindlich“.
Bis 26. Juli, Dresdener Straße 27, Do-Sa 13-20 Uhr.
Das deutsche Handwerk in seiner Leistungsschau auch in der Galerie Anselm Dreher, wo Gerhard Merz ausstellt. Auf 14 Blättern verzeichnet Merz seine bekannten Rauminszenierungen in allen Städten dieser Welt. Schlichte Holzrahmen fassen die dreifach aufgeteilten Zeichnungen: oben der Grundriß des jeweiligen Ausstellungsraums plus Wandaufriß, schwarz markiert die bespielten Wandflächen, darunter die Städtenamen. Die (Computer-)Zeichnung ist hier nicht mehr Prospekt für die Überführung der Erfindung in die Tat, sondern vielmehr deren Rückführung in das wohlgeordnete Archiv des schon Geleisteten.
Verlängert bis 24. Juli, Pfalzburgerstraße 80, Di-Fr 14-18.30, Sa 11-14 Uhr
Merz' (vergleichsweise) kleines Format gibt einer anderen Schau den Titel. 20 Künstler gleich werden von der galerie tammen & busch präsentiert. Da geht es naturgemäß wild durcheinander und der Anpassung an die derzeitig eher bescheidene Kunstmarktsituation entwachsen denn auch eher bescheidene Resultate. Die geballte Ladung Kunst verführt dazu, zunächst eher das Grausliche zu sehen. Etwa Dimitris Tzamouranis' „Fenster“ (1993), die eine geäzte Messingplatte mit dem Motiv einer Häuserfront umschließen, sowie Schiefer, Plastikspielzeug, Schallplatten oder eine Computer-Tastatur.
Annette Schröters Portraits VI-XI, jeweils 40 x 50 cm große, grellfarbene, dick mit Öl und breitem Pinselstrich belegte Leinwände machen den Betrachter brutal an.
Infant Zoyts pseudo-ethno- pop-artigen Holzfiguren aus bemalter Buche oder Linde, „Mann durch Bett“, „Mann durch Tisch“ und „Sturmfrau“ immerhin charmieren mit der gewissen Leichtfertigkeit, mit der ihre karge, dennoch ausgearbeitete Form bunt betupft und bemalt wurde.
Bis 29.8., Fidicinstr. 40, Di-Fr 13-18.30, Sa 11-14, So 15-18 Uhr
Auch „Storno – Drei junge Künstler aus Dresden“ bei Eva Poll zeigen kleinere Formate. Wobei Wolfram Neumann allerdings in „Kopfblock“ I–III kleinere Tafeln wandfüllend zusammenführt. Der Block im Kopf, so scheint es, ist das dort versammelte Archiv der Bilder, die über unser historisches Wissen bereitgehalten und abrufbar sind, sich aber auch störend in die eigene Imagination einmischen. In welchem Style sollen wir malen? Neumann tut es seriell im ganz eigenen, und zitiert doch in diesen 48 Portraits jede Menge bekannter Bilder. Das hat durchaus Witz.
Darauf kommt es auch Holger John in seinen Federzeichnungen an, die sparsam, aber rabiat daherkommen, etwa der „Kopf nach rechts“, oder die „Glocke“. Die Zeichnung mit der Männerfigur als Glockenschwengel besitzt eine bösartig-freche Eindringlichkeit. „Der Philosph“, ein Krokodil im Lacanschen Spiegelstadium, ist ein echter Kopfblock.
Bis 29. Juli, Lützowplatz 7, Mo 10-13, Di-Fr 11-19, Sa 11-15Uhr
Junge Künstler auch aus Dresden, aber nicht nur, stellt die Galerie Eigen + Art vor. Jana Milev besuchte dort die Bühnenbildklasse der Hochschule, der unter anderem auch Via Lewandowsky angehörte. Milevs „Exodus“-Konstellation, Gedanken-Material auf Videofilm, Foto und Fotokopie ist philosophisch etwas angestrengt, aber in der räumlichen Installation – trotz überbordender Fülle – tatsächlich ein Schau- Stück. So die seitlich an die rechte Wand gehängte Woge durchsichtiger Plastikfolien mit dem eingeschweißtem Fotonegativ einer polizeilichen „Spurenkarte“, memoire genannt. Beim „Museum“, das aus drei Wissenssäulen besteht, die in die linke Raumhälfte gehängt sind, kommt die Masse auf Folie fotokopierter Texte, Schemata und Skizzen ins Flirren.
Stephan Jung, Kosuth-Schüler aus Stuttgart, hat im hinteren Raum der Galerie sechs Siebdrucke eines entzückenden Hasen gehängt, der mit dem üblichen Körbchen am Arm dahergehoppelt kommt. Wer glaubt, Bunny had had a narrow escape, den trügt der Schein. Auf dem gegenüberliegenden Wandeck hat Jung ihn „festgenagelt“, mit simplem schwarzem Pinselstrich, der die Güter des Warenkorbs ausbreitet: Videokamera, Bürostuhl, Computer, Kaffeemaschine, Auto, Bürostuhl und Rasierapparat. Verblüffend, simpel, reduziert, überzeugend.
Im Keller dann Peter Dittmers „Schalten und Walten. (Die Amme). Eine milchverschüttende Installation“. Diese Arbeit will den Betrachter als Mitspieler. Wo die Amme nicht nährt oder ihr Pflegling nicht saugt, da ist kein Schalten und Walten in der großen Glasvitrine mit dem gefüllten Milchglas — der man gegenübersitzt, an einem Tisch mit Computerbildschirm, Tastatur und einem leeren Trinkglas. Der Dialog mit der Amme zeitigt Folgen. Mal muß sie „ausatmen“ und pumpt Milch in das leere Glas, ein andermal verschüttet sie die Milch in der Vitrine. Im Gegensatz zur üblichen Annahme, die Gespräche mit kommunikativem Erfolg gekoppelt sieht, will das Verhalten der Amme bedeuten, daß es letztlich nur ein geschicktes Taktieren mit dem Mißerfolg ist. Das Dialogsystem allerdings unterbindet auch noch dieses Taktieren. Das Verschütten der Milch oder das Auffüllen des Glases geschieht rein willkürlich. Der Mensch in diesem Verbund sieht sich geneigt, die Maschine doch noch manipulierend bezwingen zu wollen, obwohl er weiß, der Amme immer ausgeliefert zu sein. Weswegen sie fasziniert. Brigitte Werneburg
Bis 21. Juli, Auguststraße 26, Di-Fr 14-19 Uhr, Sa 11-14 Uhr
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