Wand und Boden: Er war Belgier und liebte die Pfeifen und das Meer
■ Kunst in Berlin jetzt: Manero, Institute for Theore(c)tical Painting, Hahn, Broodthaers
Verdutzt bleiben nur die Ortsunkundigen noch vor den drei mit Samt ausgelegten Schaufenstern im U-Bahn-Durchgang am Kudamm stehen. Im dritten Jahr muß die Konzept-Galerie der Dirty Windows von Dirk Sommer mit Kulturkaufhäusern um die Gunst des Laufpublikums buhlen. Der flüchtige Blick auf den Zauber der Ware ist vom Programm des umliegenden Mainstreams eingeholt worden, kunstgewerblich routiniert präsentiert ein gegenüberliegender Schuhtempel erotisches Bilderdekor für Leute, die schon alle Schuhe haben, während man bei Fnac an übermalten Fotografien vorbeieilen kann wie durch einen Videoclip, den man lieber fast forward spulen möchte. Dabei entzieht sich die in Sommers Galerie installierte, dreiteilige Fotoarbeit von Hilarion Manero gerade der Spuren- und Splittermythologie des öffentlichen Raums. Die Bilder zeigen technisch verfremdete, private Aufnahmen von Reisen durch nicht minder imaginäre Wüsten: Etwa „Irregular Beauty“, eine abfotografierte Collage aus Trauben, Koteletts und nordafrikanischen Kalkbergen, die ineinandergeschoben sind wie amorphe Flächen; daneben der verwackelte Schnappschuß einer Safari mit dem Konterfei eines Löwen, dessen ausgesparter Kopf nun von einer Art fliederfarbener Wolldecke gefüllt wird. Mit der Rückkehr ins Feld der autonomen Bilder gehen auch die stets lustig gemeinten Aneignungsprozesse der späten achtziger Jahre zu Ende. Vom „ästhetischen Gebrauchswertversprechen“ im Realkitsch der vorletzten Avantgarde jedenfalls findet sich bei Manero nicht mehr viel. Ob allerdings ordentlich gearbeitete Collagen als Ersatz für die verlorene Prächtigkeit ausreichen, ist ein wenig fragwürdig.
Dirty Windows Gallery, während der U-Bahn-Zeiten, Eingang Joachimstaler Str., Charlottenburg.
Ein anderer Weg führt über das soziale Engagement, und hat doch Höheres im Sinn. Claudia Hart versteht sich auf Theorie und einfache Bilder. In der Verbindung sieht das blumig, bunt und pittoresk aus: Kinder der 3., 5. und 6. Klassen der Ludwig- Cauer-Schule Berlin durften mit der amerikanischen Malerin im Zeichenunterricht gemeinsam ihre Vorstellungen von einer idealen Geburtstagstorte entwerfen. Aus über 100 Zeichnungen hat dann eine Jury aus Bäckern, Künstlern und Kuratoren (die bei einem Projekt der Kunst-Werke offenbar nicht fehlen dürfen) ihren Lieblingskuchen ausgewählt. Die „Dornröschen“-Torte von Sabine wurde wirklich gebacken: vier Schichten in rosa und blauem Zuckerguß, mit seltsamen Türmen in Braun und Gelb als Topping, die für Erwachsene ganz unzweifelhaft wie Dildos aussehen – zumal der Kuchen allmählich unter dem Galerielicht der Likör- Fabrik dahinschmilzt. Überhaupt scheinen die „Kids Fantasy Cakes“ eher Mittel zum Zweck zu sein. Hart nämlich ist alle Pädagogik fremd, sie sieht ihr Institute for Theore(c)tical Painting eher als Kritik solch komplexer Modalitäten wie „Betriebssystem“ oder „Post-Conceptual Painting“, denen sie den wilden Farbstrudel kindlicher Wünsche entgegenhält – als „Mind Models“, wie sie sich eben aus einem Satz Filzstifte ergeben. Manchmal wird auch Traumarbeit daraus, wenn die Kleinen sehr versiert an Champagner-Torten mit Sektkelchen und schwarzen Lackpumps malen oder Autounfälle in Buttercreme festhalten. Der soziale Background ist mindestens so komplex wie die Verweise, die sich auftun, wenn man Kunsthistoriker darauf gucken läßt: Parodie der Pop-art, Sehnsucht nach Art brut. Spiel, Spaß und Fluxus. Egal, für die Kinder waren es Tortenbilder, die erste Vernissage ihres Lebens und eine sehr schöne Zeit vermutlich. Bis 30.7., Di-So 15-18 Uhr, Auguststraße 91, Mitte.
In der Video-Kunst ließen sich die Schwierigkeiten mit dem Abbild durch das bloße Ausweichen auf Bewegung umgehen. Doch Video ist nicht mehr allein ein Spiegel der technischen Vorgaben, sondern Fenster zu den selben fernen Welten, nach denen in der Romantik gesucht wurde. Und Caspar David Friedrichs einsamer Wanderer auf dem Felsvorsprung sitzt heute vor der Glotze. Zwei Arbeiten von Alexander Hahn in der DAAD-Galerie greifen dieses Motiv wieder auf: „Fundamentals of Legerdemain“ zeigt fünf reduzierte Bildröhren mit übertrieben tiefenperspektivisch zerdehnten Ausschnitten vom Arbeitszimmer des Romantikers. Links eine Mausefalle, in der Mitte ein Häuflein Sand, hinten außerhalb des Zimmerfensters weht die italienische Flagge. Die Details sind fein geometrisch gegliedert am Computer generiert worden. Der Film rekonstruiert keine Geschichte der Malerei, er bestätigt vielmehr deren Übertragung aufs neue Medium, das sich in seiner avancierten Form von der Leinwand kaum unterscheidet. Hahn hat die verschiedenen Installationen mehrerer Bildschirme so in die abgedunkelten Räume gehängt, daß die Monitore bar ihrer Gehäuse wie reine Flächen wirken. Zudem scheint das Dargestellte selbst bei hoher Geschwindigkeit stillzustehen. Gewaltig vergrößerte Amöben bewegen sich in einem Mikrobereich der Zeit zwischen den Schnitten. Auch in einer Arbeit mit drei Fernsehern verschwimmt die rasche Bilderfolge ineinander, ohne jedoch mehr als die für Momente gerasterte Lichtquelle preiszugeben. Solcherart malerisch in Szene gesetzt, erscheint das eigentliche Thema doppelt: als rasche Folge von Portraits, Gesichter einer mit dem Medium verschwindenden Erinnerung.
Rats – Ratten, bis 31.7., täglich 12.30-19 Uhr, Kurfürstenstraße 58, Tiergarten.
Er war Belgier und liebte die Pfeifen und das Meer. Marcel Broodthaers könnte als Gesamtkunstdoppel René Magrittes abgehandelt werden, hätte er mit sanfter Ironie nicht bereits zu Lebzeiten die gemalten Bilder des Sprachsurrealisten in ebenso poetische Texte zurückgeführt und konzeptgerecht musealisiert. Ab den sechziger Jahren firmierten seine Arbeiten unter dem Logo des „Musée d'aveugle“, eine Art Corporate identity des Kunstbetriebs. Daß die Institution blind war, mag man dem weitsichtigen Künstler hoch anrechnen. Heute und morgen abend um 20 Uhr zeigt nun das Künstlerhaus Bethanien die Kurzfilme des zeitgemäßen Historisten, in denen Broodthaers Avantgarde als Text-Bild-Exegese entfaltete. Schon der Film „La Pluie (Projet Pour Un Texte)“ von 1969 ist ein Spiel mit dem Paradox. Broodthaers sitzt mit abwesendem Blick in seinem Garten und denkt schreibend vor sich hin. Dann fängt es an zu regnen. Die Schönschrift verschwimmt, die frische Tinte ist bald völlig ausgelöscht. Gleichzeitig ist der Film selbst zum Text geworden – eine uneinholbare Liebe zum Dokument so wie sich „Ceci Ne Serait Pas Une Pipe“ aus demselben Jahr an die Künste wandte. Der erweiterte Pfeifenbegriff Magrittes fügt sich nunmehr allein in die Geschichte, alle Rahmen sind doppelt. Andere Filme widmeten sich der Mimesis von Kurt Schwitters und Charles Baudelaire. Die Wiederholung des Autors schafft eine zweite Unendlichkeit, so die Idee von Marcel Broodthaers. Nur der Film „Berlin oder ein Traum mit Sahne“ zeigte ihn selbst im Spiegel: mit Sahnehäubchen auf den Augen, blind.
Mariannenplatz 2, Kreuzberg. Harald Fricke
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