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Wand und BodenSchaufensterpuppen für die Theorie

■ Kunst in Berlin jetzt: van Lamsweerde, Fox, Paetel, Pomrehn, Mädchenträume

Was ein Foto-Shop-Programm alles leisten kann: Im Techno-Video wird Stalin zu Hitler, und in der Kunst mutieren Babys zu Cyborgs. Inez van Lamsweerde stellt in den Kunst-Werken drei ihrer weiblichen Monster aus, zwei nackte langhaarige Wesen, denen die Geschlechtsmerkmale bis auf das knochig hervortretende Schambein wegretuschiert wurden; und ein dreijähriges Mädchen aus der Serie „Final Fantasy“, dessen babyspeckiges Gesicht mit dem breiten Grinsen eines erwachsenen Mannes kombiniert wurde. Mit dem ins Reich der leeren Zeichen verbannten Sex verflüchtigt sich auch die Verführungskraft der Bilder. Kühl mustert man die Zahnreihen und prüft die porenlos gestaltete Oberfläche der Haut, so wie vielleicht vor siebzig Jahren die sachlich blassen Figuren auf den Gemälden von Christian Schad begutachtet wurden. Wohin auch immer der Trend der Geschlechterdifferenzierung gehen mag, bei van Lamsweerde halten sich traditionell Figuratives und Abstraktion die Waage, am Formideal hat sich nichts verändert. Die Teenies etwa sind – bis auf den Eingriff im Schritt und fehlende Brustwarzen – dem Alter entsprechend entwickelt. Das Konzept hinter der Arbeit läßt sich bei Donna Haraway nachlesen: „Der Cyborg ist ein Wesen in einer postgeschlechtlichen Welt. Er hat nichts zu tun mit Bisexualität, präödipaler Symbiose“ etc. Nachdem der Diskurs über sie hinweggedonnert ist, wirken die am Computer verfremdeten Bilder der Niederländerin ein wenig schal. In ihren letzten Arbeiten hat sie sich bereits mit Vivienne Westwood zusammengetan und ihren Damen der dritten Art Lackstiefel und Pelzmäntel angezogen – Schaufensterpuppen für die Theorie. Daß den Bio-Montagen drei Heranwachsende aus Terrakotta von Judy Fox zur Seite gestellt wurden, um „die Verletzlichkeit der menschlichen Individualität“ vorzuführen, macht die Techno-Dialektik nicht viel besser. Statt dessen fühlt man sich in eine Zeit zurückversetzt, als Realismus mit Aufrichtigkeit verwechselt wurde und soziales Interesse mit Kunsthandwerk. Aber mir sind auch Jim Hensons Muppets lieber als Duane Hensons Hausfrauen aus Polyester.

Bis 14. 5., Di.–So. 14–18 Uhr, Auguststraße 69

Bei Roswitha Paetels und Susanne Pomrehns Herz-Variationen schreckt man zunächst irritiert vor einer geballten Ladung an Gefühligkeit zurück. Alles ist rot und kitschig und prall. Auf einem Tisch liegen als „Stilleben“ diverse Gipsgegenstände: Spielzeug zwischen Pinocchio und Steinzeit. Die 1955 geborene Paetel war Schauwerbegestalterin, bevor sie wie ihre Kollegin Pomrehn an der HdK studierte. In ihren Objekten spiegelt sich eine Leichtigkeit im Design wider, die mit Wachs überzogene Kugel paßt ins Kinderzimmer, der Wandbehang aus grün bemaltem Papiermaché wandelt den Phallus als Kerzenhalter ab. Gleichzeitig verschiebt sich in all diesen formschönen Dingen das Motiv des Organischen, werden die sonst befremdlich amorphen Innereien zu surreal überdimensionalen Gegenständen – Herzkranzgefäße als Pop-art. Natürlich wirken solcherlei märchenhafte Versionen der Biologie neben dem oben angeführten Hardliner-Konzeptualismus sehr naiv, zumal sie mehr traumhaft mit Assoziationen spielen, als sich über den Kampf am Geschlecht zu definieren. Mysterien des Weiblichen. Dann heißt es im Einladungskartenklappentext, den Ulrike Stöhring zur Arbeit von Pomrehn verfaßt hat: „Und Vulva und Säulengang und Nest und widerspenstig und Monstrum und wunderlich und siebenschwänziger Spargel und einsilbig und streichle mich und immerfort und verloren“ und so fort – wobei die Reihung jenes Hybride widerspiegelt, in dem sich auch die strengen Arbeiten der Cyborg- Ideologin van Lamsweerde verlieren. Nicht beliebig, doch unentschieden – wo das Geschlecht kaum mehr faßbar gemacht werden kann, ist auch die Sprache in der Darstellung fließend und nicht artikuliert. Bei Pomrehn schwimmen unzählige gezeichnete Herzen auf Millimeterpapier, von Nagel- bzw. eben Spargelreihen unterbrochen. Zunächst baut sich aus dem Formenreichtum ein Modell auf, das zugleich unendlich verknüpfbar und offen bleibt – das Herz, ein befreites Organ. Irgendwann aber verliert sich das im Vagen. Statt zu wiedererkennbaren Herzen geraten die Bleistiftstriche expressiv durcheinander wie auf bruitistischen Bildern, nur sind sie weiterhin numeriert, ein roter Fleck ist der 1017.

Bis 29. 4., Di.–Fr. 11–19, Sa. 15–18 Uhr, Galerie Weißer Elefant, Almstadtstraße 11

Auch im Underground herrscht reges Interesse an Körperstrategien: „Mädchenträume“ nennt sich eine Ausstellung in der Disco, Bar und Aktions Galerie in der Großen Präsidentenstraße 10. Dort treffen Chromapark und Uni-Seminar aufeinander, der eine gibt den Beat vor, der andere sprudelt vor Begriffen: „So arbeitet noch in den fortgeschrittensten Vorstellungen von der Erweiterung des Körpers durch denkende Technik, in der exzessivsten Erprobung von Schmerzgrenzen eine Hoffnung auf transformiertes Bewußtsein, auf Transzendenz, die untrennbar mit der Sehnsucht nach Anmut und Schönheit verknüpft ist.“ Der Sound paßt irgendwie zur Tribal-Rave-Beschallung. Unten im Keller hängen profane Dinge, von Ute Moritz stammen vermutlich die beiden aus einem Pornoheft reproduzierten Großfotos, auf denen sich zwei Blondinen mit einem schmucken gläsernen Dildo die Freizeit vertreiben. Daneben baumelt ein funktionsloser Schalter mit der Aufschrift „Fick Blau – 666,66 DM“, und man ist eher erstaunt, wie nahe Techno, Subversion und Übertretung heutzutage an Oswalt Kolles Sexkampagnen heranreichen. Wo in der Psychoanalyse à la Zizek Genuß längst als Symptom eines widersprüchlichen Selbst dingfest gemacht worden ist, meint man bei „Mädchenträume“ wieder nur Warenkritik. Im nächsten Raum stilisiert eine Ganzkörper-Foto- Installation den Penis am Kreuz, während aus dem weißgeschminkten Mund Würste baumeln. Begleitet wird das eher clowneske Remake der Autoperforationskunst Marke Appelt, Brus und DDR von ausgestreuten Kartoffeln. Oben an der Bar funktioniert der brüchige Kontext dann tatsächlich erstaunlich gut: Roger Frank hat sich in seiner Wohnung fotografiert. Auf drei Panoramen zerfällt sein Körper in Ambiente-Situationen, lenkt das Interieur des Badezimmers mit all seinen Nebensächlichkeiten von den Verrenkungen ab, die Frank in der Badewanne unternimmt. Per 180-Grad-Foto aus der Küche sieht man ihm dabei zu, wie er sein Knie auf Polaroid knipst. Der Raum dazwischen verliert sich auf wundersame Weise in Details, Flohmarktzeugs und Fifties-Dekor. Der Körper wird zu einer Landschaft, an die alle begehrten Dinge bereits angeschlossen sind. Das macht ihn angenehm fremd wie jedes andere Objekt auch.

Bis 27. 4., Di.–So. 20–2 Uhr. Harald Fricke

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