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Wand und BodenAus dem Höschen

■ Kunst in Berlin jetzt: Konrad, Wevers, Schröder, Messmer

Die Kunsthalle Moabit in der Kulturfabrik Lehrter Straße ist nicht weiter vom Brandenburger Tor entfernt als der Rosenthaler Platz. Insofern liegt sie bebauungstechnisch im Einzugsbereich der Hauptstadt 2000. Derzeit werden schräg gegenüber direkt am Güterbahnhof legosteinweise Wohnblöcke hochgezogen. Und selbst für „künstlerische Raumkonzepte“ ist die Gegend interessant. Karsten Konrad nennt seinen architektonischen Eingriff in der Kunsthalle „Minotaurussandwich“, auch wenn es mehr an ein Schwarzwälder Hexenhäuschen erinnert. Die Decke wurde um 50 cm abgesenkt und mit Papp- Platten beklebt, die Fenster auf halber Höhe mit Rigips verkleidet, was in der Fabriketage ein kuscheliges Ambiente schafft wie im Kinderzimmer. Denn Konrad hat die künstliche Decke mit dem Kachelmuster des Fußbodens bedruckt. Der Trompe-l'÷il-Effekt wird noch durch zwei an die Seitenwände montierte Neonröhren verstärkt, die den Raum absolut gleichmäßig ausstrahlen. Für einige Minuten bleibt man tatsächlich starr, während man nach oben starrt und es doch von unten nicht unterscheiden kann. So fügt sich ein Gaga zum anderen: „Minotaurussandwich“ ist kein Versuch kritischer Dekonstruktion, sondern mehr der spielerisch-surreale Angriff der Hauptstadtplanung. Er richtet sich auch gegen die grassierende Gerhard-Merz-Manie, jeden halbwegs sicher gemauerten Backstein hinter Marmor verschwinden zu lassen.

Bis 8. 10., Fr. 17–19, Sa. & So. 15–18 Uhr, Lehrter Straße 35

Schicht für Schicht schaut man bei Volker Wevers durch die Gemälde hindurch, und kommt doch nur wieder auf einer Leinwand heraus. Seine drei großformatigen Bilderserien im Kutscherhaus haben jedoch nichts mit Täuschung zu tun. Mit wenigen Schlangenlinien oder Pinseltupfern auf monochromflächigem Hintergrund spiegelt Wevers eine Dreidimensionalität vor, der man sich nur schwer entziehen kann. So entstehen auf „Pearl tipped Luxury“ zwei orangefarbene Ovale im Zentrum, die durch sieben labyrinthisch verzahnte Bögen in einem komplementären Fliederton zusammengehalten und zugleich hervorgehoben werden. Bei „Ava Gardner“ scheint das Gemisch aus Blau und Gras kaum auflösbar, obwohl Wevers nur mit sieben Verbindungslinien operiert. Einfach nur wie Peter Halleys Streifen-und-Kästchen-Bilder stilisiert sind die Arbeiten jedoch auch nicht, Robert Kurdielka bezeichnet sie im Katalog als „aufreizend umständlich“. Das stimmt vor allem für die Bilder, die im Erdgeschoß hängen. Auf einer sämig mit Weiß abgemischten blaßblauen Fläche sind schmale Rechtecke ausgespart, in die Wevers in feinen Abstufungen Übergänge von Schwarz in helles Grau gemalt hat. Der Titel: „Rear Window“. Eben. Man guckt heraus, und ein Bild schaut zurück. Dazwischen ist nichts weiter als Farbe.

Bis 15. 10., Sa. & So. 11–17 Uhr, Tempelhofer Ufer 11

In der Galerie Wolf hängen sechs Fotos einer stark behaarten Dame, die verschiedene Schlüpfer trägt. Für jeden Tag ein hübsches Kätzchenmotiv, freitags ist Discotime, wie eine poppige Aufschrift verrät. Der Montag dagegen fehlt, „als Freistelle im System“. Geht es also schon wieder um Dekonstruktion, Täuschung und Geschlechterzapping? Ein bißchen. Der Torso mit dem Haarwuchs bis zum Bauchnabel verlagert den Bereich der Scham aus dem Höschen. Statt dessen sieht man dort, wo sonst das Geschlecht sitzt, kleine Pussies, die Liebesbriefe schreiben – als ob das aufgezwängte Zeichen sich von selbst am Klischee abstrampelt. Sehr surrealistisch.

Die Irritation liegt in der Unwägbarkeit des Dargestellten, und offensichtlich hat Kerstin Schröder Zweifel am Abbild. Neben den sechs Fotos zeigt die 1962 geborene Berlinerin aus der Malerklasse von Professor Marwan fünf Schüttbilder mit dem exorbitanten Titel „Die Struktur des Zufalls, ein pytagoräischer Schrecken“. Zu sehen sind jedoch keine mathematisch aufgedröselten Farbspektren, sondern schwarzgraues Gewaber, das sich mal als Mondlandschaft, mal als Gewitterhimmel oder auch als aufgewühlte See entpuppt.

Im Grunde ist es immer nur Farbe, die übereinandergeschüttet und nach diversen chemischen Reaktionen versiegelt wurde. Durch das Fehlen jeglicher Pinselspuren bekommen die Bilder eine glatte Oberfläche, die man kaum von Fotos unterscheiden kann. Daher der Glaube, es mit wirklichen Dinge zu tun zu haben, wo doch nur Farben zusammengeflossen sind. Aber macht nichts: Malerei ist selbstredend Realität in eigener Sache, und ein Bild ist ein Bild.

Bis 3. 10., Di.–Fr. 11–18, Sa. 10–14 Uhr, Großbeerenstr. 36

Die Fotografien von Arwed Messmer in der Galerie am Scheunenviertel sind denen von Andreas Gursky beängstigend ähnlich. Von gewaltigen Flächen aus Licht dominierte Plätze, an denen hier und dort verlorene Gestalten herumirren. Doch das hier ist nicht die Natur der Romantik, sondern Berlin-Mitte. Aus ironischer Distanz dokumentiert Messmer die Baustellen am Potsdamer Platz und den Abriß rund um die Friedrichstraße. Dabei gelingen ihm seltsam archaische Aufnahmen, wenn etwa vor dem Hotel Unter den Linden nurmehr eine mit Stahlrohren verstrebte Brandmauer steht, an der bald zwei Meter groß das gelbe Logo der Gerüstfirma prangt: Nebel. Vom fortschreitenden städtischen Baugewirr bleibt ein leeres Areal mit flachem Schriftbild übrig, ein Stück Land-Art, wie aus einem Robert-Smithson-Film der sechziger Jahre herübergeholt. Einmal nur, bei einem Foto zur Grundsteinlegung für das neue Adlon-Hotel, tauchen Menschen in Mengen auf. Sie sind schüchtern unter Regenschirmen versteckt.

Bis 29. 9., Mo.–Sa. 11–20, So. 11–16 Uhr, Weinmeisterstr. 8 Harald Fricke

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