Wand und Boden: Vom Anfang zum Ende der Malerei
■ Kunst in Berlin jetzt: Monica Bonvicini, José Maria Sert, Rolf Walter, Claude Closky
Es sind nur zwei 125 x 245 cm große Schwarzweißfotografien, mit denen Monika Bonviciniin der Galerie Neu der Frage nach der Solidität der Architektur und ihrer diskursiven Absicherung nachgeht. Sie zeigen unterschiedliche Ausschnitte eines modernistischen Ensembles. Der Glaskasten, in dessen Fassade sich ein älterer, üppig dekorierter Steinbau spiegelt, und der High-Tech-Bau dessen tragende Struktur sich scheinbar unverstellt der Außenwelt zeigt.
Die Gebäude sehen beschissen aus. Bürowelt-Bastionen, die trotz ihrer angeblichen Material- und Funktionsehrlichkeit für ihre Benutzer wenig erfreulich sind. Das weiß man, auch wenn man es von außen nicht sieht. Die Renditeerwartungen erlauben eben nur die üblichen 08/15-Winzlöcher oder terroristische Großraumbüros. Es hat seine guten Gründe, daß soviel über Fassaden gesprochen wird. Auch der Architekturdiskurs ist nur eine. Bonvicini hat die Fotos selbst wiederum in zwei Drittel der Rahmenfläche verglast, das freie Drittel möchte man als Angriffsfläche interpretieren.
Bis 28.2., Do., Fr. 14–19 Uhr, Charitéstraße 3
Für das Ausmalen des Speisesaals des Waldorf Astoria bekam er 1929 nicht weniger als sensationelle 150.000 Dollar: Der katalanische Maler José Maria Sert (1874–1945) war, recht besehen, ein artiste decorateur. Allerdings, so darf man vermuten, von ganz eigenem, großartigem Format. Da sie zum größten Teil hinter den Mauern luxuriöser Privathäuser versteckt sind, ist es schwer, sich ein Bild von seinen Arbeiten zumachen. Nicht zuletzt deshalb geriet er nach seinem Tod schnell in Vergessenheit. Bestenfalls wird er noch als Ehemann von Misia Sert – Marcel Prousts Madame Verdurin – erwähnt.
Für Ausgestaltungen wie die des Vestibüls des Rockerfeller Centers, der Kathedrale von Vich oder des Ratssaals im Genfer Völkerbundpalast unterhielt Sert ein großes Atelier mit mehreren Mitarbeitern. Einzelne Szenen entwarf er zunächst im Modell, fotografierte sie und bearbeitete diese Fotos weiter, indem er sie übermalte und rasterte, um sie leichter auf die großen Leinwände übertragen zu können, die er der eigentlichen Wand vorblendete. Ein Konvolut von rund fünfzig dieser Fotografien ist jetzt im Georg Kolbe Museum zu sehen. Im Abstand der Jahre ist ihnen ein eigener Charakter erwachsen, und sie wirken nicht mehr wie der Werkstattbericht, der sie einmal waren. Das liegt vor allem an den großen Holzgliederpuppen, die er für seine monumentalen Entwürfe zu teils mächtigen Formationen gruppierte und an langen Holzstäben fixierte, um sie in der Unter- oder Aufsicht zu zeigen. Die Fotos der kopfüber stürzenden Mannequinkörper wirken tatsächlich ungemein attraktiv. Man mag Anklänge an den Manierismus, an Tibaldi oder Tintoretto verspüren, die Puppen- Truppen des Surrealismus heraufziehen sehen oder schon den aktuellen katastrophenerprobten Körper erkennen, wie er im Modell des Filmstunts und des Dummies in der Unfallforschung konzipiert wird.
Bis 31.1., Di.–So. 10–17 Uhr, Sensburger Allee 25
Von oben stoßen auch Rolf Walters merkwürdige Puppen- beziehungsweise Puttenwesen ins Bildgeviert. Meist sind es Cherubine, körperlose Kopfflügler, die sich den Bildraum mit Fischen, Rosenknospen, Granatäpfeln und der heiligen Therese von Lisieux streitig machen. Das Personal seiner Temperamalerei ist also ziemlich christlich, katholisch und volkstümlich-barock. Gegen die üppigen Votivbilder ist im Haus am Lützowplatz seine Serie „Mit dem Affenschädel“ gehängt, die mit ihrer gebrochenen Farbigkeit und ihrer undurchschaubaren Perspektive die pittura metafisica zu zitieren scheint. Nicht zuletzt, weil Walter mit Nähutensilien wie Garnrolle, Schere, Häkelnadel, Maßband oder mit Strumpfhalter indirekt Bezug auf ihr Schneiderpuppenmotiv nimmt. Man merkt es den Bildern an, wie sehr Walter sein anekdotisches Temperament bezähmt. Zuletzt reduziert er das Nähzeug auf einen „Fingerhut“ oder einen „Bettknopf“. Seine technisch enorm versierte Malerei wird zunehmend subtiler. Aber auch wenn gerade einige Engel die popmusikalische Hitparade bevölkern, seine Nische ist zu gut gewählt und sein malerisches Anliegen zu zeitfern, um nicht eine entscheidende Nuance zu harmlos zu sein.
Bis 2.2., Di.–So. 11–18 Uhr, Lützowplatz 9
Vous avez tout essayé? Das kann nicht sein, schließlich gibt es noch „200 bouches à nourir“, 200 Werbemünder mit Schokolade, Eiskreme, Softdrinks, Bier, Maiskolben, Hustensaft, Salat, Bier und und und zu stopfen. Claude Closkys Video kommt ohne Ton aus, wodurch die Freßorgie ausgesprochen elegant, geradezu erhaben wirkt. Der ordinäre Sound der Konsumentenlust und der Marktschreierton der Anbieter bleiben draußen. Es geht ihm also um anderes, um die ästhetischen Endlosschleifen des gewöhnlichen Alltags. Der Tatsache, daß sein Material der Fernseh- und Zeitschriftenwerbung entstammt, sollte man keine allzu große Bedeutung zumessen. Auch die Fotos von Urlaubern im Badekostüm, die vom Strand aus aufs Meer schauen, bilden eine Schleife. Schon von ferne, durch das große Schaufenster der Galerie Mehdi Chouakri betrachtet, ahnt man das Prinzip, das die Panels seiner Collagen organisiert. Ziffern, Zahlen, Typographie, Repetitionen, tonifiez vos jambes, multipliez vos libertés; dazu der Tick der Werbefotografen, auf deren zehn mal zehn Uhren es immer zehn nach zehn ist. Methodisch, cool, calm, collected.
Bis 1.3., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Gipsstraße 11 Brigitte Werneburg
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