Wand und Boden: Eingestürzte Altbauten
■ Kunst in Berlin jetzt: Marianne Müller, Annelies Strba, Lucky DeBellevue
Der Arm ist waagerecht ausgestreckt, und die Manschette des rosaroten Hemdärmels fällt lose über das Handgelenk: Dieses Foto von Marianne Müller erinnert ein wenig an die Aufnahme von Jürgen Teller, auf dem der Ärmel eines rosaroten Helmut- Lang-Hemds offen über einen Gipsarm hängt. Doch es geht der 31jährigen Schweizer Künstlerin nicht um Modefotografie, auch wenn sie deren Präsenz erreicht. Marianne Müller hat ein Bild im Sinn und keine Botschaft.
Dennoch spielen Kleider in ihren Fotografien eine wichtige Rolle. Nicht als Medium einer modischen oder sozialen Selbstaussage, sondern als eine Form, die den Körper sichtbar macht, indem sie ihn verdeckt, allerdings nicht restlos. Im geöffneten Reißverschluß eines weißen Kleids wird ein Stück BH sichtbar. Und unter dem Trapez eines kurzen Rocks, der – angefangen beim Gürtel mit Schnalle bis zum Saum – aus einem durchbrochenen weißen Stoff besteht, scheint gegenläufig ein schwarzes, umgedrehtes Trapez durch. Ob es vom Schamhaar oder vom Slip verursacht wird, ist nicht recht zu sagen.
Der Arm, der in einem luftigen Sommerkleid gehoben wird, gibt den Blick auf ein paar Achselhaare und einen Leberfleck frei. In einem weiteren Bild schaut tatsächlich das Schamhaar unter einem schwarzen Hemd oder einem hochgerutschten Rock hervor. Die aufeinanderliegenden Beine sind bloß, und die Fotografin preßt die eigene Faust in ihre Scham. „Exhibitionismus“ würde diese Detailaufnahmen falsch benennen. Autovoyeurismus trifft die Sache wahrscheinlich besser. Die intime Wahrnehmung wird jedoch im großformatigen, roh an die Wand gepinnten Abzug konterkariert. Müller macht Müller zum öffentlichen Bild. Dort, wo die Kamera sie aufsucht, wird die Welt bedeutsam. Das belegt nicht zuletzt das Portfolio mit kleineren, schwarzweißen und farbigen Formaten, das in der Galerie Arndt & Partner ausliegt. Es geht um Nnaheliegendes: „Ich fotografiere mich selbst, das Kleid, das in der Badewanne zum Waschen liegt, den Himmel, die Blumen, die Bushaltestelle auf dem Heimweg, Kühe, Berge.“
Bis 9.8., Di.–Sa. 14–19 Uhr, Hackesche Höfe, Rosenthaler Str. 40
Auch das Thema von Annelies Strba, gleichfalls Schweizer Fotografin, ist naheliegend. Sie, zwanzig Jahre älter als Marianne Müller, begann in den achtziger Jahren mit oftmals zu dunklen, verwaschen wirkenden, unscharfen Schwarzweißmotiven ihrer schlafenden, spielenden oder essenden Kinder und Katzen aufzufallen. Diese Geste der Nachlässigkeit hinsichtlich einer fototechnischen Perfektion hat sie ebenso beibehalten wie das Motiv ihrer Familie. Hinzugekommen sind in der Zwischenzeit, wie jetzt bei Eigen +Art zu sehen, die Farbe und eine glänzende Plexiglasoberfläche, sowie das Motiv einer Japanreise.
Neben zweiundzwanzig mittleren und dreizehn kleineren Formaten fallen vor allem zwei große Bilder von Hiroshima (1994) und Kobe (1995) auf.
Der Blick auf einen Straßenzug der erdbebengeschädigten Stadt verwirrt zunächst, denn es scheint nicht sicher, ob die Schräglage der Bauten womöglich einer dekonstruktivistischen Architektur geschuldet ist, ob es sich um einstürzende Neu- oder schon eingestürzte Altbauten handelt. Hiroshima ist das stark überbelichtete Rechteck eines Hochhauses, das über dem Wellenmuster niedriger Hausdächer droht. Das Foto wirkt wie das Bild eines Fernsehers mit schlechtem Empfang. Der elektrisierende, elektronische Touch und filmische Drive, der die japanischen Bilder durchzieht, verliert sich an der Wand mit den kleineren Formaten. Die Unschärfe in den Fotos ihrer Töchter und Enkelkinder wirkt gesucht, tendiert zum Weichzeichner, das Malerische scheint Gerhard Richters neuesten Familienszenen entlehnt: Der Ruch des Kunstgewerblichen lastet über dieser Bilderwand.
Bis 9.8., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–17 Uhr, Auguststraße 26
Ob man das Material, mit dem der amerikanische Künstler Lucky DeBellevue seine fragilen Skulpturen fertigt, als „naheliegend“ bezeichnen kann, ist ungewiß. Es scheint zwar alltäglich zu sein, allerdings nicht im Zusammenhang mit Kunst: Pfeifenreiniger als dekoratives Material erwartet man eher im Kindergarten.
Gleichwohl werden in Lucky DeBellevues bunten Flauschgebilden ohne weiteres die Fragen an den Begriff der Skulpur, des Environments oder der Installation deutlich. Das große, von der Decke herabrieselnde Gebilde einer „Chimera, Sort of“ könnte Anlaß zu einer ganzen Seminarstunde über Volumina, Dichte und Leichtigkeit, Formstabilität und -flexibilität plastischer Strukturen geben. Gleichzeitig sperren sich DeBellevues Objekte, die auch aus Tesa-Moll-Band oder Alufolie gefertigt sind, gegen die pompöse Attitüde autonomer Artefakte. Ihre „ramponierte Anmut“ (NGBK-Ausstellungskurator Frank Wagner) richtet sich gegen den Versuch, die Kunst ihrem sozialen Kontext zu entziehen und ihrer ästhetischen Phantasie einen universal gültigen Rahmen zu verpassen.
DeBellevues zarte Alu-„Kronen“ im Künstlerhaus Am Acker zeichnen ganz parteiisch eine schwule Wahrnehmung aus. Diese vernetzt die farbenfrohen Drahtstäbchen zu einem löchrigen, luftigen und bunt durchwucherten Gegenmodell zur schönfärberischen Seriosität großer Kunst.
Bis 3.8., Di.–So. 12–18 Uhr, Ackerstraße 18 Brigitte Werneburg
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