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Wand und BodenBack in the U.S.S.R.

■ Kunst in Berlin jetzt: Samaras, Kopystiansky, Serebriakova

Die Arbeit beginnt im Bett. Für sein 1974er Video „Self“ hat sich Lucas Samaras von der Village Voice-Kritikerin Kim Levin im Schlaf filmen lassen. Und auch die anderen Rituale, die der New Yorker Pop-Performer vor der Kamera vollführt, sind banal und abseitig zugleich. Minutenlang sitzt er in der Küche und zerschneidet Orangenschalen in schmale Streifen; ein anderes Mal schüttet er sich Stecknadeln über das Gesicht, später sitzt er auf einem Hügel, schaut nach Manhattan hinüber und saugt an einer überdimensionalen Meerschaumpfeife. Das sieht albern aus, doch schon im nächsten Augenblick thront Samaras in Leder gekleidet auf schwarzem Samt und blickt den Zuschauer mit der diabolischen Strenge eines Kenneth Anger an. So sieht die dunkle Seite des Camp aus.

Obwohl seine Kunstwerke auf der documenta und 1980 zur Biennale in Venedig zu sehen waren, ist die Ausstellung in der Galerie Hohenthal & Bergen die bislang erste deutsche Einzelpräsentation von Samaras. Das ist selbst bei einem Künstler, der schon 1969 an Harald Szeemans legendärer „Attitudes“-Ausstellung beteiligt war, nicht ohne Risiko. Die Auswahl beschränkt sich denn auch auf verfremdete Polaroids und kleine fetischähnliche Objekte, die Samaras seit den sechziger Jahren angefertigt hat. Hier wird die Sache schwer religiös, eine Art byzantinische Ikonenbastelei – Jesus-Figurinen inklusive. In ihrer folkloristischen Kitschigkeit sind die „Boxes“ dennoch nicht symbolisch, sondern materialbezogen und sehr autobiographisch angelegt. Weil er aus einer griechischen Schneiderfamilie stammt, benutzt Samaras Nadel, Faden und Schere so wie andere Künstler seiner Zeit Pinsel oder Schweißbrenner. Der Weg vom Nähkästchen zur Pop-art-Kiste bleibt trotzdem verschlungen.

Bis 11.4., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Fasanenstraße 29

Wenn das russische Künstlerpaar Igor & Svetlana Kopystiansky eine gemeinsame Ausstellung „Dialog“ nennt, rechnet man mit „Szenen einer Ehe“ und wundert sich über so viel öffentlich gemachte Ironie. Daß man aber in der ifa-Galerie als erstes über zehn weiße Blätter aus einem „weißen Album“ stolpert, die Unterschriften tragen wie „Rechte obere Ecke weiß“ oder auch „In der Mitte eine vertikale weiße Linie“, ist dann nicht mehr lustig, sondern schon Konzept.

Svetlana Kopystianskys Zyklus aus dem Jahr 1979 schmiegt sich eng ans weiße Quadrat von Kasimir Malewitsch an und bricht doch komplett mit der Tradition des Konstruktivismus. Nur in der Verschriftlichung wird die künstlerische Darstellung sichtbar, ansonsten entzieht sie sich dem Auge. Die Verdoppelung durch den Text ist nur mehr Suggestion, das Bild löst sich im Wortspiel auf. Eine andere Arbeit der russischen Künstlerin besteht aus einer schwarzweißen Fotoserie, bei der Bilderrahmen als „Eingang“ bezeichnet werden, alte Pantoffeln „Stiefel“ heißen, und ein Pinsel zum „Messer“ wird. Um ihre Vorstellung von „Verschönerungen“ zu illustrieren, hat Svetlana Kopystiansky Zierblumen auf einen alten Gasboiler gemalt. Daß man auf dem Schwarzweißfoto nur graue Blüten sieht, gehört zur Idee von Kunst als Idee.

Ihr Mann Igor vertraut ebenfalls ganz der Zeichensprache, wenn er zum Thema „Verbesserung“ strenge Gittermuster auf einen Parkettboden zeichnet. Für die Fotosequenz „Theaterstück“ stellt er zwei Stühle miteinander so in Beziehung, daß sich allein aus dem Arrangement des Mobiliars Stimmungen ergeben. Daß auch Fischli & Weiß zeitgleich mit Möbeln absurde Situationen nachstellten, konnte er 1980 nicht wissen.

In den achtziger Jahren waren die Kopystianskys Außenseiter innerhalb der Moskauer Kunstszene. Während sich Ilya Kabakov am sozialistischen Realismus abarbeitete, grübelten sie lieber über die paradoxe Pfeifen-Logik von René Magritte nach. Von heute aus betrachtet, erscheint dieser „Dialog“ mit den Dingen sehr melancholisch, wenn etwa der schmelzende Schnee auf einem Foto von Svetlana Kopystiansky zur „Vergrößerung der Leere“ wird. Vielleicht kommt die Schwermut aber auch bloß von einem alten Videoband, auf dem man bärtige Männer beim Reden und Rauchen sieht. Ihre Zigaretten glühen wie Würmchen in der Nacht.

Bis 26.4., Di.–So. 14–19 Uhr, Neustädtische Kirchstraße 15

Anders als die Kopystianskys gehört Marina Serebriakova zur ersten sowjetischen Künstlergeneration nach Glasnost und Perestroika. Für die 1965 in Moskau geborene Bildhauerin spielte Dissidenz keine Rolle mehr, sondern viel eher der Kontakt zum zeitgenössischen Diskurs im Westen. Das merkt man vor allem ihrer Biographie an: 1992 war die damals gerade mal 27jährige als Nonkonformistin zur documenta eingeladen, inzwischen lebt sie irgendwo zwischen Berlin, Antwerpen und Paris – ein bißchen global player und Nomade in einem.

Die Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein wandert noch einmal den Weg nach Moskau zurück und verbindet dabei den Konzeptualismus der Vergangenheit mit hübschen neuen Skulpturen. Links an der Wand hängen durchscheinende Folienfotos, auf denen sich in Anlehnung an die Inszenierungen von Igor Kopystiansky zwei Stühle im Schnee anstarren. Davor liegt eine zurechtgebogene Installation mit einem Brettergestell, das lässig auf einer vergipsten Kugel ruht. Im Hintergrund kann man auf einigen Dutzend Zeichnungen verfolgen, mit welchem Geschick Serebriakova Möbel und Bildhauerei miteinander verbindet. Mal breiten sich auf einer ihrer Skizzen schwarze Stahlkoffer netzförmig über einem Bett aus, mal entwirft sie op-artige Techno-Einrichtungen, die an Beuyssche Studien erinnern: Auf das Betriebssystem Kunst antwortet das Bezugssystem Mensch.

Bis 26.4., Di.–Fr. 12–18, Sa./So. 12–16 Uhr, Chausseestraße 128/129 Harald Fricke

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