: Walter Lummer
Die SPD im Hauptstadtfieber ■ K O M M E N T A R
In Ost-Berlin wird es aller Voraussicht nach bald eine Große Koalition aus SPD und CDU geben, ohne daß die Beteiligten dabei allzu große ideologische Bauchschmerzen haben. Nach der gestrigen Plenarsitzung im Abgeordnetenhaus und der Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters steht zu befürchten, daß sie auch im Westteil der Stadt bald Realität werden könnte. Die SPD und allen voran ihr Regiermeister sind in der Deutschlandpolitik mittlerweile so auf CDU -Positionen umgeschwenkt, daß selbst CDU-Chef Diepgen resigniert feststellen muß, die Unterschiede lägen nur noch in der Form - und wie läßt sich damit noch Opposition machen? Kontroverse Positionen vertritt nur noch die AL ein Vorgeschmack auf künftige Bündnisse?
Die SPD - die natürlich allen Polemiken der CDU zum Trotz immer die Wiedervereinigungspartei war - hat sich in Berlin gänzlich die Argumente für eine Hauptstadt Berlin zu eigen gemacht, die bisher die CDU vorgebracht hatte. Nicht nur die Regierungserklärung von Momper und die Gegenrede von Diepgen stimmen bis hin zu einzelnen Formulierungen überein. Nein, der Regierende befindet sich in noch besserer Gesellschaft: In einer kürzlich veröffentlichten Hochglanzbroschüre des CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer zum Thema Hauptstadt bemüht dieser die gleichen demokratischen und „guten preußischen“ Traditionen, auf die Berlin zurückblicken könne, wie gestern Momper. Lummer springt dort sogar für den letzten preußischen Ministerpräsidenten der Weimarer Republik, Otto Braun, als aufrechtem Preußen in die Bresche - allerdings ohne zu erwähnen, daß dieser in der SPD war. Momper seinerseits rief die BerlinerInnen zu einer Initiative „Hauptstadt Berlin“ auf - wohl wissend, daß der konservative Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Feilcke bereits vor zwei Monaten eine solche Initiative ins Leben gerufen hat. Metropole, geistig-kulturelles Erbe, Brücke zwischen Ost und West, neues föderales Verständnis von Hauptstadt: die Argumente gleichen sich aufs Ermüdendste und sind längst zu Schlagwörtern verkommen.
Von wem stammt wohl der Satz: „Entscheiden wird das Gefühl aller Deutschen in Ost und West, welche Stadt sie als ihre gemeinsame Hauptstadt, als geistiges und gesellschaftliches Zentrum ihrer Nation empfinden.“? Antwort: von Momper - und ähnlich steht er auch bei Lummer. Ausschlaggebend für die Entscheidung soll ausgerechnet das Gefühl sein - obwohl doch hinter dem Schwenk in der Berliner Regierungslinie neben dem Schielen auf die Wähler knallharte ökonomische Überlegungen stecken. Man kalkuliert messerscharf, daß eine künftige Hauptstadt finanzielle Unterstützung durch den Bund in einer Größenordnung erhält, die von einer weiter in Bonn sitzenden Regierung nie zu erwarten wären.
Kordula Doerfler
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