: Walesas Vorstoß bewegt Polens Parteien
■ Der Gewerkschaftsführer will eine Zusammenarbeit von Solidarnosc, Bauernpartei und bürgerlichen Demokraten gegen Kommunisten / Zusammen haben diese Gruppierungen die Mehrheit im Parlament / Gibt es doch noch eine Regierung gegen die PVAP?
Warschau (afp/dpa) - Der Vorschlag des polnischen Arbeiterführers Lech Walesa, zusammen mit der Bauernpartei und der Demokratischen Partei unter Ausschluß der Kommunisten eine Regierung zu bilden, ist am Dienstag nach Angaben von Beobachtern auf großes Interesse in politischen Kreisen Polens gestoßen.
Eine solche Koalition, heißt es, würde es dem „Bürgerkomitee Solidarität“ um Walesa erlauben, die Macht zu übernehmen, da die Dreierkoalition mit 264 von 460 Mandaten die Mehrheit im Parlament hätte.
„Dieser Vorschlag verdient es, aufmerksam überdacht zu werden. Er wird beim nächsten Treffen der Bauernpartei am Mittwoch auf der Tagesordnung stehen“, teilte einer ihrer Sprecher mit. Bei der Demokratischen Partei hieß es, daß Walesas Angebot „mit Interesse geprüft wird und eine Entscheidung von der Parteispitze verlangt“. Der Sprecher der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) von Mieczyslaw Rakowski war hingegen nach Auskunft seines Büros nicht zu erreichen.
Walesa hatte am Vortag dem neuen polnischen Ministerpräsidenten General Czeslaw Kiszczak das Recht zu einer Regierungsbildung abgesprochen.
Mit seiner Initiative zwingt Walesa nach Ansicht von Beobachtern die Protagonisten der politischen Szene Polens, endlich Farbe zu bekennen. Die Frage ist, ob die PVAP bereit ist, auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie durchzuhalten, auch wenn sie nicht mehr über die absolute Mehrheit im Sejm verfügt. Das Parteiorgan 'Trybuna Ludu‘ schloß am Montag nicht mehr die Möglichkeit aus, daß die Kommunistische Partei mit ihren 173 der 460 Sitze im Parlament noch auf den Oppositionsbänken landen könnte.
Walesa treibt mit seinem Vorschlag einen Keil zwischen die Leute um den Vorsitzenden der Bauernpartei, Roman Malinowski, der den kommunistischen Machthabern treu ergeben ist, und eine ungeduldige Parteibasis, die ihre Bewegungsfreiheit wiedererlangen möchte. Die Demokraten stehen vor demselben Dilemma. Doch selbst wenn es zu der von Walesa angestrebten Koalition kommen sollte, ist ungewiß, ob Präsident Wojciech Jaruzelski nicht von seinem Vorrecht als Staatschef Gebrauch machen und das Parlament auflösen wird, um Neuwahlen auszuschreiben.
Bald Abkommen mit EG
In Warschau wurde am Dienstag ein Abkommen zwischen Polen und der Europäischen Gemeinschaft paraphiert. Es soll im Herbst unterzeichnet werden. Als eines der wichtigsten Ziele wird auch ausdrücklich die Umstrukturierung der polnischen Wirtschaft genannt.
Polen erhält die Meistbegünstigung im Zollbereich und gewisse Erleichterungen beim Handel mit Lebensmitteln. Unter anderem sollen die Importkontingente für die meisten polnischen Exporte wegfallen.
Katholiken zur Westgrenze
In einer gemeinsamen Erklärung haben polnische und deutsche Katholiken an den 50. Jahrestag des Angriffs Deutschlands auf Polen am 1.September 1939 und an die damit verbundenen Opfer und Schrecken erinnert.
In dem am Dienstag vorgelegten Siebenpunktepapier wird für den „dauerhaften Bestand“ der Westgrenze Polens eingetreten und zu weiterer Versöhnung und Zusammenarbeit in einem freien Europa aufgerufen.
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