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Walesa zeigt sich versöhnlich

■ Entgegen seiner Ankündigung verzichtet der polnische Arbeiterführer auf einen Streikaufruf

Warschau (afp/taz/dpa) - In Erklärungen auf der Danziger Lenin-Werft und vor der Presse vertrat Arbeiterführer Walesa am Dienstag einen überraschend gemäßigten Kurs. Entgegen seiner Ankündigung rief er nicht zu landesweiter Streikbereitschaft auf. In einer Versammlung auf der Werft ließ Walesa durchblicken, daß die Frage eines Streikes jetzt weniger aktuell sei, da die Werftschließung von offizieller Seite auf das Ende des Jahres 1990 verschoben worden ist. „Wir müssen gemäßigt und mit legalen Mitteln kämpfen!“ sagte der Arbeiterführer.

Demgegenüber veröffentlichte die amtliche polnische Nachrichtenagentur 'pap‘ am Dienstag einen scharfen Angriff von Ministerpräsident Mieczyslaw Rakowski auf den Arbeiterführer, in dem dieser Walesa erstmals namentlich beschuldigt, die Gespräche „am runden Tisch“ zu vereiteln.

Mehr als tausend Arbeiter legten am Dienstag aus Solidarität mit den Beschäftigten der Lenin-Werft in dem angrenzenden Trockendock und der weiter nördlich gelegenen Wisla-Werft spontan die Arbeit nieder, nahmen sie nach Appellen Walesas jedoch am Mittwoch wieder auf, nachdem die Entlassung mehrerer Kollegen rückgängig gemacht worden war. In zahlreichen polnischen Städten waren am Montag Demonstrationen und Solidaritätskundgebungen für die Beschäftigten der Lenin-Werft veranstaltet worden.

In Warschau verhinderte die Polizei am Montag ein „Happening“ von Studenten und Oberschülern anläßlich des Jahrestages der Oktoberrevolution. Die jungen Leute versammelten sich an einem der belebtesten Plätze in Warschau vor den großen Kaufhäusern gegenüber dem Kulturpalast. Die Polizei zerschlug ihr mitgebrachtes rot bemaltes Schiffchen aus Pappe, auf dem geschrieben stand „Aurora“. Den jungen Leuten wurden ihre Lenin-Bilder aus der Hand gerissen. Wer immer sich mit einem Lenin-Bild oder Revolutionsabzeichen erwischen ließ, wurde abgeführt. Zu dem Happening hatte die „orangefarbene Alternative“ aufgerufen, eine lose Studentengruppe, die sich auf diese Weise über die politische Wirklichkeit lustig macht.

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