piwik no script img

Wahnsinnsgefühle

■ Der Tscheche Jaroslav Sakala wurde auf der Riesenschanze von Planica Skiflug-Weltmeister / 200-Meter-Flüge beunruhigen die Funktionäre

Planica (dpa) – Der 24jährige Tscheche Jaroslav Sakala aus Frenstat ist der neue Flugkönig unter den Skispringern. Der Skiflug- Weltcupsieger von 1993 flog an nur einem Wettkampftag im slowenischen Planica zum Titel, nachdem am Samstag böiger Wind die erste Hälfte der Konkurrenz „verblasen“ hatte. Mit zweimal 189 Metern wurde Sakala Nachfolger des Japaners Noriaki Kasai. Als Bester des deutschen Trios beendete der Schönwalder Christof Duffner die Titelkämpfe als unglücklicher Vierter mit Flügen von 159 und 148 m. „Ich könnte mich in den Hintern beißen. Beim Probedurchgang stimmte beim neuen deutschen Rekord von 205 m einfach alles. So einen Flug hätte ich in die Wertung bringen müssen. Ich habe beim Fliegen einfach kein Glück“, schimpfte der Schwarzwälder.

Ärger gab es um die Reihenfolge hinter Sakala. Der Italiener Roberto Cecon wurde wegen der antiquierten Regel des Internationalen Skiverbandes (FIS), die Flüge über 191 m nur mit Punkten für diese Weite zu berechnen, um Silber gebracht, nachdem er im zweiten Flug mit 199 m auf die Bestweite der Konkurrenz gesegelt war. Wie Cecon ging es dem Japaner Takanobu Okabe, der für 198 Meter im ersten Flug ebenfalls nur 191 Meter angeschrieben bekam. So erhielt der norwegische Olympiasieger Espen Bredesen, der im Training mit 209 Meter einen inoffiziellen Weltrekord aufgestellt hatte, für Flüge von 172 und 182 m Silber vor Cecon (160/199).

Überschattet wurde der vom Wind beeinträchtigte zweite Durchgang von zwei böse aussehenden Stürzen des Japaners Jinya Nishikata und Johan Rasmussen aus Schweden. Sie gingen mit einem ausgekugelten Arm bei dem Japaner und einer Fußprellung bei Rasmussen relativ glimpflich aus.

Nicht geflogen sind die beiden deutschen Olympiasieger Jens Weißflog (Oberwiesenthal) und Dieter Thoma (Hinterzarten). Der „Floh vom Fichtelberg“ entschied sich zur Abreise, als er beim freien Training am Donnerstag gesehen hatte, daß die Springer gut neun Meter über dem Hang standen. „Bei meiner Technik ist mir das Risiko zu groß“, begründete Weißflog, der die Entscheidung im Wissen traf, damit den Gesamtsieg im Weltcup aus der Hand zu geben.

Die neuen Dimensionen, in die in Planica geflogen wurde, lösten zwiespältige Gefühle aus. Die Schanzen sind zu klein geworden für die besten V-Flieger mit ihrer modernen Ausrüstung. „Es geht nicht um die 200 Meter, es geht um die Sicherheit der Aktiven. Daß 200 Meter zu stehen sind, haben wir hier ja mehrfach gesehen. Doch das Risiko ist einfach zu groß“, betont Gianfranco Kasper, der Generalsekretär der FIS. Da aber die umgebaute Schanze von Planica dem Regelwerk entspricht, konnte die Jury die Jagd nach den 200 Metern nicht verhindern. Klassische Mittel wie Anlaufverkürzung zeigten keine Wirkung. Noch langsamer als mit rund 102 km/h kann die Anfahrt auch nicht gewählt werden, weil dann die nicht so guten Flieger gefährlich kurz springen würden.

Kasper sagt voraus, daß durch das Überfliegen der 200-m-Marke eine Lawine ins Rollen kommt. „Wenn andere Flugschanzen-Betreiber das Geld haben, werden sie auch für Flüge über 200 m umbauen“, befürchtet der Schweizer. Dann seien schwere Unfälle nur eine Frage der Zeit, und der FIS stünden Prozesse wegen fahrlässiger Tötung ins Haus. Deshalb kündigte er Reglements-Änderungen mit weniger tragenden Anzügen und weiter nach vorn montierten Bindungen als Flugbremsen an.

Ob die FIS sich allerdings durchsetzen kann, bezweifelt selbst Kasper. „Der Druck durch die Zuschauer, die immer neue Rekorde sehen wollen, wird sehr groß. Dem können wir nur standhalten, wenn alle an einem Strick ziehen. Und diese einheitliche Haltung vermisse ich leider im Lager der Skispringer.“ „Ich bin begeistert“, faßte Christoph Duffner zusammen, nachdem er beim offiziellen Training sogar auf 207 m geflogen und leicht gestürzt war, weil er den Flug vorzeitig öffnen mußte. Und der Österreicher Andreas Goldberger findet: „200 m sind ein Wahnsinnsgefühl. Doch fliegen sollte man nur, wenn man sich in Bestform fühlt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen