Wahlverlierer Labour: Brown lässt Cameron den Vortritt
Schielt er auf eine Koalition mit den Liberaldemokraten? Nach dem schlechtesten Ergebnis seit 1983 spricht sich Gordon Brown für ein Verhältniswahlrecht aus.
DUBLIN taz | Königin Elisabeth hat am Freitag keinen Besuch bekommen. Weder Tory-Chef David Cameron noch Labour-Premier Gordon Brown war in der Lage, ihr eine handlungsfähige Regierung zu präsentieren. Zwar haben die Tories den bei Weitem größten Stimmanteil und auch die meisten Unterhaussitze gewonnen. Aber die absolute Mehrheit haben sie verfehlt.
Labour verlor wie erwartet knapp neunzig Sitze. Es ist das schlechteste Ergebnis für die Partei seit 1983. Zum ersten Mal seit 1918 haben die beiden großen Parteien zusammen weniger als zwei Drittel der Stimmen. Die Hoffnung der Liberalen Demokraten, nach den überzeugenden Auftritten ihres Vorsitzenden Nick Clegg bei den Fernsehdebatten der drei Parteichefs zur dritten Kraft aufzusteigen, haben sich nicht erfüllt. Sie legten gegenüber 2005 nicht zu.
Brown, der seinen Sitz im schottischen Kirkcaldy mit deutlich größerer Mehrheit als bei den letzten Wahlen verteidigen konnte, kehrte am Freitag in seinen Amtssitz in der Downing Street zurück, um zu demonstrieren, dass er noch immer der Amtsinhaber ist. Doch auch wenn die Tories auf keine absolute Mehrheit kamen, ist Brown der Verlierer. Es war die erste Wahl, der er sich stellen musste. Das Amt des Premierministers hat er von Tony Blair geerbt, der Parteivorsitz wurde ihm ohne Wahl in den Schoß gelegt.
Aber Brown gibt sich noch nicht geschlagen. Zwar stimmte er dem Liberalen-Chef Clegg zu, dass Cameron als Erster versuchen dürfe, eine Regierung zu bilden. Er akzeptiere deshalb, dass Clegg zuerst mit Cameron verhandelt. "Sie können sich dafür so viel Zeit nehmen, wie sie wollen", sagte er, prophezeite aber, dass die Gespräche am Ende scheitern werden. Dann wäre Labour in der Lage, substantiellere Verhandlungen mit den Liberalen zu führen, sagte Brown - zum Beispiel über eine Reform des Wahlsystems, die Kernforderung der Liberalen.
Als sich das Wahlergebnis in der Nacht zum Freitag abzuzeichnen begann, bekannten sich Brown und andere Labour-Politiker zur Notwendigkeit dieser Reform, als ob das schon immer ihr Herzenswunsch gewesen sei. Die Partei hatte 13 Jahre lang Zeit, sich diesen Wunsch zu erfüllen. "Meine Meinung ist eindeutig", sagte Brown. "Wir benötigen dringend Gesetze über eine Reform des Wahlsystems, um das Vertrauen der Menschen in die Politik wieder herzustellen." Das Vertrauen kam den Wählern wegen des Spesenskandals und der schmuddeligen Parteienfinanzierung abhanden. Trotzdem lag die Wahlbeteiligung deutlich höher als 2005.
Doch selbst im Falle einer Koalition mit den Liberalen reicht die Zahl der Sitze nicht für eine absolute Mehrheit aus. Brown hat sich deshalb bereits an die schottischen und walisischen Nationalisten gewandt, um mit ihnen über eine Zusammenarbeit zu verhandeln. Der schottische Premier Alex Salmond von der Scottish National Party sagte: "Das Schicksal hat uns und die walisische Plaid Cymru in eine mächtige Position gebracht." Beide Parteien haben das Gesprächsangebot angenommen. Eine Zusammenarbeit mit den Tories schloss Salmond aus.
Brown pocht darauf, dass nur er mit seiner langjährigen Erfahrung als Schatzkanzler und Premierminister Großbritannien aus dem Finanzschlamassel ziehen kann. Doch die Wähler haben offenbar erkannt, dass seine Regierung mit ihrer Deregulierungspolitik und der Hörigkeit gegenüber dem Londoner Finanzdistrikt erheblich dazu beigetragen hat.
Es war eine Wahlnacht, wie sie Großbritannien lange nicht mehr erlebt hat. Das britische Mehrheitswahlrecht hat zumindest einen Vorteil: Die Fernsehübertragung der Auszählung ist spannend, da in jedem Wahlkreis die Karten neu gemischt werden. Normalerweise lässt sich zwar nach der Auszählung eines Teils der Wahlkreise ein Trend erkennen, aber der war diesmal nicht auszumachen. Selbst die Experten, die im Fernsehen zu Wort kamen, waren bis zum frühen Morgen ratlos. Einige Wahlkreise, die leichte Beute für die Tories schienen, blieben bei Labour, während sicher geglaubte Labour-Sitze an die Tories gingen.
Am Ende stand das Debakel für Labour, das nur dadurch abgemildert wurde, dass die Tories die absolute Mehrheit verfehlten. So gab es schon in der Nacht Spekulationen über Browns Rücktritt. Wirtschaftsminister Peter Mandelson sagte, es wäre ziemlich überraschend, würde Brown zurücktreten. Es sei "seine Pflicht, im Amt zu bleiben und seine Arbeit zu machen, bis klar ist, wen die Königin mit der Aufgabe betraut, eine neue Regierung zu bilden, sollte Brown dazu nicht in er Lage sein." Im Laufe des Freitags wurde es immer unwahrscheinlicher, dass Brown dazu in der Lage sein wird.
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