: Wahlkampfphantom in der Oper
Kultur für den Wohnzimmerwahlkampf des ZDF am Sonntagabend ■ Aus Frankfurt Mathias Bröckers
Als wir zehn Minuten nach acht in den voll besetzten großen Saal der Frankfurter Oper kommen, ist der Spuk schon vorbei — das Rednerpult wird gerade weggetragen. „Den Schönen Guten Waren“, so das große Transparent der Bühnendekoration, soll es fortan mit dem Wahren Guten Schönen, mittels Kultur also, ans Leder gehen. Zehn Minuten politische Reden und drei Stunden Kulturprogramm — so lautet das Mischungsverhältnis dieses Abends, der Schlußveranstaltung und Höhepunkt des grünen Bundestagswahlkampfs markiert. Hat sich im grünen Politikkonzept ein neuer Trend durchgesetzt: weg von der dumpfen Propaganda à la „Persil bleibt Persil“, hin zum „Image-Transfer“, weg von der belehrenden Werbebotschaft, hin zum unterhaltenden Spektakel? Ein Beteiligter klärt mich auf: An diesem Sonntag läuft die ZDF- Sondersendung über den Wahlkampf, Auschnitte von den Veranstaltungen der Parteien werden live eingeblendet, wobei der grüne Beitrag aus der Frankfurter Oper kommt. Aus diesem Grund habe man sämtliche Kulturkräfte, die landesweit für grüne Prozente trommeln, an diesem Abend hier konzentriert — um mit Kabarett und Artistik eine mediale Alternative zu den markigen Reden der Konkurrenz zu präsentieren. Ausgewählt für die Überzeugungsarbeit in allen ZDF-Haushalten hatte man den „Reichspolterabend“, zu dem sich die Kabarettisten Beltz, Pachl, Rating, Konejung und Schroth zusammengeschlossen haben — sicher eine der zugkräftigsten Nummern im Programm und von daher eine professionelle Wahl, doch dann merkt man wieder, daß dies eben doch nicht eine Veranstaltung ausgebuffter PR-Profis ist, sondern eine der guten alten Grünen: Die Beleuchtung stimmt nicht, Mikros fallen aus, und für die Paradenummer über Richard von Weizsäcker wird den Reichspolterern der Beifall geklaut — die Big Band ballert mit Trommeln und Trompeten zu früh los. Nur Verschwörungsgläubige könnten vermuten, daß dies in der Realo-Hochburg Frankfurt ganz gezielt geschah, um den Öko-Royalisten Weizsäcker zu schonen — auch später scheitert das unverfängliche Damentrio „Die Wellküren“ mit ihrem (anti-) bayerischen Liedgut an der Akustik.
Wie es sich für einen richtigen bunten Abend gehört, darf Artistik nicht fehlen: Der berühmte sowjetische Clown Oleg Popov kam gänzlich ohne Ton aus und erntete brausende Beifallsstürme. Bleibt die Frage, ob man mit Jonglierkunst, Pantomime und Scherzen den politischen Herausforderungen eines Wahlkampfs gerecht werden kann. Nur so, muß die Antwort lauten, wie an dem Beitrag von Matthias Beltz zur Ausländerfeindlichkeit deutlich wurde: „Der Kalauer ist der Gastarbeiter unter den Scherzen.“
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