: Wahlkampfgefecht der Altparteien
■ Der festgefahrene Streit um den Wahl- und Vereinigungstermin bestimmte die gestrige Bundestagsdebatte / Keine konkreten Lösungsvorschläge
Aus Bonn Ferdos Forudastan
Als Auftakt zum ersten gesamtdeutschen Wahlkampf inzenierten die Bonner Parteien gestern eine Bundestagsdebatte über den „weiteren Weg zur staatlichen“ Einheit. Die ursprünglich angesetzte zweite und dritte Lesung zum Wahlvertrag mit der DDR war abgesetzt worden, nachdem die Volkskammer ihn in der Nacht zum Donnerstag mehrheitlich abgelehnt hatte. Weiter offen sind damit die Termine für den Beitritt der DDR zur BRD und für die gesamtdeutsche Wahl.
Weil sie vorgezogenen Wahlen nicht zustimmt, ist die SPD verantwortlich dafür, daß sich die wirtschaftliche und soziale Lage in der DDR weiter verschlechtert; mit dieser Hauptaussage scheinen die Regierungsparteien CDU, CSU und FDP in den Wahlkampf zu ziehen. Mögliche Investoren schrecke eine Regierung ohne volle Souveränität. So begründete etwa FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff wiederholt, weshalb die „Hoffnungen der Menschen in der DDR“ am Verhalten der Sozialdemokraten „zu zerschellen“ drohten. Überdies beschied er, daß frühere Wahl dem „tiefen Wunsch der Menschen in der DDR entsprächen.“
Die Marschrichtung der Sozialdemokraten in den Wahlkampf scheint hingegen eher darin zu bestehen, mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten statt auf Konfrontation zu gehen. Oskar Lafontaine sparte bei seinem ersten Bundestagsauftritt zwar nicht mit Kritik: Der Kanzler werde nun von den eigenen Fehlern eingeholt und versuche mit Täuschungs- und Überrumplungsmanövern das Tempo der Einheit zu bestimmen. Dies warf Lafontaine der Bundesregierung etwa im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation in der DDR vor. Immer wieder, so Lafontaine auch, verstecke sich Helmut Kohl hinter der Regierung der DDR. Und: er warne die Bundesregierung davor, nicht zur Kenntnis zu nehmen, wer inzwischen die Mehrheit im Bundesrat habe. Allerdings bot der Kanzlerkandidat dem Bundeskanzler mit fast ebenso vielen Worten einen „konstruktiven Dialog“, die Bildung einer „konzertierten Aktion“, und „Gespräche“ über steuerliche Präferenzen von Investitionen in der DDR und über den öffentlichen Dienst an. Vor allem zwei Bedingungen stellte Lafontaine allerdings: Die Gewerkschaften sollen beteiligt werden, und die Regierung muß die Kosten der Einheit offenlegen. Die Regierungskoaltion war offenkundig nicht gewillt auf dieses Angebot einer Zusammenarbeit anzunehmen. Obwohl er eigentlich auf der Rednerliste für die Debatte stand, meldete sich Bundeskanzler Kohl nicht einmal zu Wort. Auf den Kanzlerkandidaten zu reagieren delegierte an Finanzminister Theo Waigel und CDU-Generalsekretär Volker Rühe. Waigel warf dem Kanzlerkandidaten vor, er rede die wirtschaftliche Katastrophe in der DDR herbei. Die SPD, so Waigel, spiele „mit dem Schicksal der Menschen“ und. Sie stelle sich mit ihrer Weigerung vorgezogenen Wahlen zu akzeptieren, einer „voll handlungsfähigen Regierung in den Weg“. Konkrete Vorschläge, wie der Misere beizukommen sei, machten weder die Koalitionspolitiker noch die Sozialdemokraten. Seinen Entschluß, den Haushaltsentwurf für 1992 zurückzuziehen bezeichnete Waigel als rechtlich und sachlich zwangsläufig wegen des voraussichtlich früheren Beitrittstermins. Theo Waigel wie auch Wirtschaftsminster Haussmann übten sich auch in Beschwichtigungen: Den Menschen in der DDR gehe es nicht schlechter, vielen gehe es besser, so etwa Waigel.
Antje Vollmer von den Grünen rief vor allem dazu auf, die derzeitige Situation als Chance zu begreifen. „Ich bin zuversichtlich, daß die Grünen und die Bürgerbewegungen dieser Republik noch Beine machen werden für den überfälligen Wechsel der Generationen und der Regierung. Doch dazu brauchen wir Vorderhand noch die SPD.“ Mit der ging sie dann allerdings sehr schonend ins Gericht „Und die, das muß ich sagen, macht mir etwas Sorgen.“
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