Wahlkampf: Sieger ist die linke Rampensau
Schüler debattieren im Niedersächsischen Landtag mit den Spitzenkandidaten der großen Parteien - dabei gerät so mancher Polit-Profi an seine Grenzen.
"Elterngeld", "Balance von Beruf und Bildung", "Wirtschaftsstandort Deutschland stärken" - Ursula von der Leyen referiert zur Frage: "Sollen Unternehmer Eltern mehr unterstützen, damit sie mehr Zeit für ihre Kinder haben?" Mit ihren Phrasen käme die CDU-Bundesfamilienministerin bei Will und Illner an jedem beliebigen Sonntagabend durch. Nicht so an diesem Donnerstag bei Mark, 17: Der trottet ans Mikrofon und fragt: "Sollten Sie nicht erstmal dafür sorgen, dass Unternehmer jungen Leuten Arbeit geben, damit sie eine Familie ernähren können?"
Mark ist Gymnasiast aus Springe und sitzt mit 250 Ober-, Mittel- und Berufsschülern im Niedersächsischen Landtag, um die Bundestags-Spitzenkandidaten auf Herz und Nieren zu prüfen. Angetreten sind neben von der Leyen noch Edelgard Bulmahn (SPD), Brigitte Pothmer (Grüne), Carl-Ludwig Thiele (FDP) und Dieter Dehm (Die Linke). Um gleich mal ein paar Ergebnisse vorwegzunehmen: Jacken mit Leopardenmuster wirken auf bündnisgrünen Schultern eher imageschädigend. Außerdem finden die Schüler, dass Sachlichkeit und zeitnahes Erscheinen immer noch echte Tugenden sind. Davon profitieren FDP (in Sachen Sachlichkeit) und Linke (da offenbar besonders pünktlich). Pothmer kann Boden gut machen mit der These "Bildungspolitik muss Bundesangelegenheit werden". Der Punktsieger aber heißt eindeutig Dieter Dehm: Er ist eine Rampensau und bringt die "Vergesellschaftung des Finanzspekulationssektors" überzeugend rüber. Yannick, 14, und Lukas, 16, nicken: "Gute Performance."
Vier Themenkomplexe haben die Veranstalter - das Kultusministerium, der Landtag und der Demokratieverein Kumulus e. V. - vorgegeben. Es gelten die Regeln des parlamentarischen Betriebes: Politikerrede, Schülergegenrede, Debatte. Während sich nebenan der Asse-Untersuchungsausschuss zäh dahinschleppt, können hier alle Beteiligten noch etwas lernen. Zum Beispiel Herr Thiele von der FDP. Sätze wie "es geht mir nicht um Steuerkürzung, sondern um Steuersenkung" entlarvt da selbst ein Oberprimaner als das, was sie sind: idiotisch.
Eloquent plädiert auch die ehemalige SPD-Bildungsministerin Bulmahn für "mehr Gesamtschulen", beißt aber auf Granit: Realschülerin Laura mag partout nicht einsehen, dass das dreigliedrige Schulsystem "soziale Unterschiede zementiert". Ihre Erfahrung sage genau das Gegenteil. Das stellt sich erst später am Büffet heraus: Seit in der Wedemark, einer der reichsten Gemeinden im Land, eine neue Gesamtschule steht, gehören Laura und ihre Mitschüler plötzlich zu den Losern. "Da wird Stimmung gegen die Realschüler gemacht", so Lehrerin Annemarie Theels-Evers. "Vor allem von den Eltern." Die waren nicht eingeladen.
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