Wahlkampf in der Schweiz: Marsch auf Bern
Niedrige Arbeitslosigkeit, boomende Wirtschaft, hohe Löhne - eigentlich gehts den Schweizern gut. Trotzdem herrscht Angst vor dem "Fremden". Die SVP schürt diese Ängste und profitiert davon.
GENF taz Es war der aggressivste und schmutzigste Wahlkampf, den die Schweiz jemals erlebt hat. Und alle Prognosen gehen davon aus, dass er sich für die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) lohnen wird. Wie schon im Jahr 2003 dürfte sie am Sonntag bei den Wahlen zum Parlament, dem Nationalrat, zur stärksten Partei werden. Möglicherweise wird die vom jetzigen Justizminister Christoph Blocher geführte SVP ihren Anteil von zuletzt 26,6 Prozent sogar noch steigern.
Die Schweizerische Eidgenossenschaft, die ihre heutige Form 1848 bekam, war eine der ersten Demokratien in Europa. In der Schweiz wird das Konkordanzprinzip praktiziert. Ab einem bestimmten Stimmenanteil in der ersten Kammer des Parlaments, dem Nationalrat, wird jede Partei gemäß ihrer Stärke an der Regierung, dem siebenköpfigen Bundesrat, beteiligt. Allerdings erfolgt dies nicht automatisch, vielmehr müssen die Bundesräte von beiden Kammern des Parlaments gewählt werden. Dieses besteht aus dem Nationalrat sowie dem Ständerat, in dem die Kantone vertreten sind. Mit dem Aufstieg der rechtspopulistischen SVP in den Neunzigerjahren ist dieses System in die Krise geraten. DZY
Ihren Wahlkampf betrieb die SVP mit rassistischer und ausländerfeindlicher Hetze, mit Islamophobie und der Verhöhnung Andersdenkender. Wegen des Führerkults um Blocher und der Symbolik der SVP - so nannte sie ihren Aufmarsch, der später in Straßenschlachten zwischen Autonomen und der Polizei untergehen sollte, anfangs "Marsch auf Bern" - fühlten sich manche Beobachter, darunter der liberale Wirtschaftsminister Pascal Couchepin, an den "Duce" Benito Mussolini und den italienischen Faschismus erinnert.
Geschadet hat Blocher diese Kritik nicht. Ebenso wenig wie die Lügen, Rechtsbrüche und zumindest unterschwellig antisemitischen Reden, mit denen er in seinen ersten vier Jahren als Mitglied der Regierung immer wieder für negative Schlagzeilen gesorgt hat. Im Gegenteil: Der milliardenschwere ehemalige Unternehmer, der seine Aktienmehrheit an Ems-Chemie inzwischen an seine Kinder abgegeben hat, spielt erfolgreich eine Doppelrolle. Einerseits ist er ein verantwortliches Mitglied der Regierung, andererseits inszeniert er sich als oppositioneller Volkstribun, der die Kritik, Ängste und Sorgen "des Volkes" gegenüber dieser Regierung in der Sprache des Volkes artikuliert. Kommunikationsexperten aller politischen Coleur attestieren der SVP eine "brillante Wahlkampfstrategie", der die anderen drei im Bundesrat vertretenen Parteien - Sozialdemokraten, Christliche Volkspartei und Liberale - kaum etwas entgegenzusetzen hatten.
Doch die Schwäche der anderen Parteien allein kann nicht erklären, warum so viele Schweizer den Rattenfängern der SVP mit ihren Angstparolen und der Hetze gegen alles Nichtschweizerische auf den Leim gehen. Zumal es in der Schweiz und ihren 7,6 Millionen Einwohnern im internationalen Vergleich immer noch sehr gut geht. Der Lebensstandard ist höher als in den umliegenden Staaten, und die Arbeitslosigkeit liegt bei unter zwei Prozent, während es im EU-Durchschnitt knapp zehn Prozent sind. Noch die niedrigsten Löhne sind deutlich höher als etwa in Deutschland und Großbritannien. Die Unternehmen fast aller Branchen haben volle Auftragsbücher und klagen über fehlende Produktionskapazitäten und einen Mangel an Facharbeitern.
Doch "Ängste gibt es trotz oder gerade wegen des Wohlstandes", analysierte der Zürcher Tagesanzeiger zu Beginn der letzten Wahlkampfwoche die Befindlichkeit der Schweizer. Seit dem bilateralen Abkommen mit der EU über Personenfreizügigkeit erleben diese erstmals eine verschärfte Konkurrenz um gut bezahlte Stellen durch Zuwanderer aus EU-Staaten, vor allem aus Deutschland. Diese Zuwanderung dämpft den Lohnanstieg.
Zu den unterschwelligen Ängsten trägt auch bei, dass ausländische Billigunternehmen verstärkt in den Schweizer Markt drängen. Aldi und Fielmann sind schon da, der Lebensmitteldiscounter Lidl und die Discountwerkstatt ATU beginnen gerade ein Netz von Filialen zu gründen. Und nachdem die Nachfolgerin des nationalen Heiligtums Swissair in die Hände der Lufthansa gefallen ist, sorgen sich manche, dass auch das dichte und effiziente Zugsystem der Schweiz eines Tages von der Deutschen Bahn betrieben werden könnte. Obwohl die Schweiz und auch ein auf den internationalen Markt ausgerichteter Unternehmer wie Blocher von der Globalisierung fast nur profitiert hat, ist die Furcht groß, das Land könne dadurch seine Identität verlieren.
Die SVP appelliert an die unterschwelligen Ängste der Schweizer und präsentiert in der Gestalt von Blocher den "starken Mann". Ablehnung der EU, Verhöhnung der UN und des Völkerrechts, Begrenzung des Ausländeranteils, Verschärfung des Asylrechts, Ausschaffung straffällig gewordener Ausländer samt ihrer Familien oder Verbote des Baus von Moscheen heißen die "Lösungen", die die SVP anbietet. Dabei hat das Land schon heute, seit der von der SVP initiierten Volksabstimmung im Herbst letzten Jahres, das wohl härteste Ausländer- und Asylrecht in Europa.
Verantwortlich für alle vermeintlichen und tatsächlichen Probleme des Landes macht die Partei "die Grünen und die Linken". Die Tatsache, dass im Bundesrat, im Nationalrat sowie im am Sonntag ebenfalls neu zu wählenden Ständerat seit Jahrzehnten die bürgerlichen Parteien SVP, CVP und FDP eine deutliche Mehrheit gegenüber den Sozialdemokraten, Grünen und kleinen linken Parteien haben, geht im propagandistischen Trommelfeuer der SVP unter.
Bei dieser Konstellation wird es auch nach diesen Wahlen bleiben. Die Sozialdemokraten - bis 2003 noch die stärkste Partei im Nationalrat - werden nach den letzten Prognosen deutliche Verluste erleiden und bei höchstens 22 Prozent landen; Christlichsoziale und Liberale dürften jeweils um die 15 Prozent erhalten. Die relativ größten Gewinne mit einem Zuwachs von derzeit 7,4 Prozent auf über 10 Prozent werden für die Grünen vorausgesagt, die bislang nicht der Regierung angehören.
Unklarer als die Wahlergebnisse ist die Frage, wie es weitergeht. Am 13. Dezember muss das neue Parlament die Mitglieder der Regierung bestimmen, der derzeit neben Blocher ein weiteres Mitglied der SVP, zwei Sozialdemokraten, zwei Liberale und ein Christlichsozialer angehören. Die Grünen und die Sozialdemokraten haben angekündigt, dass sie zwar andere Kandidaten der SVP wählen werden, aber Blocher "auf keinen Fall". Um Blocher zu verhindern, brauchen sie allerdings Unterstützung aus der CVP und der FDP. Für diesen Fall hat Blocher angedroht, dass die SVP sich aus der Regierung zurückziehen werde. Die Frage ist, ob sich Sozialdemokraten und Grüne von dieser Drohung einschüchtern lassen werden.
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