Wahlkampf in Schleswig-Holstein und NRW: Grüne zwischen Pudding und Beton
In Köln und Kiel streiten Grüne, Piraten und Linkspartei um Inhalte und Wähler. Die Grünen können sich eine "Zusammenarbeit" mit den Piraten vorstellen
![](https://taz.de/picture/216154/14/rot-grun-orange.jpg)
KÖLN/KIEL taz | Gleich die erste Frage bringt Sven Lehmann etwas in die Bredouille. „Was ist eigentlich gut an den Piraten?“, will taz-Chefredakteurin Ines Pohl von dem Landeschef der nordrhein-westfälischen Grünen wissen. Lehmann braucht eine kurze Pause zum Überlegen.
Dann sagt er: „Auch wenn das viele nicht erwarten: Erst mal finde ich gut, dass es sie gibt.“ Denn sie schafften es offenbar, viele Menschen davon zu überzeugen, „dass Politik etwas Spannendes ist und es sich lohnt, sich einzumischen“.
Lehmanns Antwort gibt die Richtung vor. Die Diskussion, zu der die taz für Donnerstagabend ins Kölner Bürgerhaus Stollwerck eingeladen hatte, wird keine der ritualisierten Abgrenzung. Lehmann und seine MitdiskutantInnen, die Landesvorsitzenden der Linkspartei und der Piraten, Katharina Schwabedissen und Michele Marsching, sind nicht auf Krawall gebürstet. Die rund 200 ZuschauerInnen erleben vielmehr drei PolitikerInnen, die einen freundlichen Umgang miteinander pflegen.
Auch im Legienhof in Kiel haben sich am Donnerstag etwa 200 Gäste versammelt. Allerdings geht es unter der Moderation von Hanna Gersmann, der Leiterin des taz-Inlandsressorts, zwischen den Spitzenkandidaten von Grünen, Linkspartei und Piraten in Schleswig-Holstein ruppiger zu. Als würde er zwischen Pudding und Beton sitzen, so empfindet der grüne Frontmann Robert Habeck die Debatte mit dem Linksparteiler Ulrich Schippels und mit Torge Schmidt von den Piraten. „Die Auseinandersetzung mit den Piraten ist schwer, wie mit Pudding zu boxen“, sagt Habeck. „Dagegen ist die Linke eine Betonwand.“
„Wir sind bereit, auch neue Modelle auszuprobieren“
Habeck und Schippels haben als Opposition gegen die schwarz-gelbe Regierung eher selten zusammengearbeitet. Auch auf dem taz-Podium geben sich die beiden keine große Mühe, ihre wechselseitige Antipathie zu verbergen: „Keine Ahnung“ habe Schippels, giftet Habeck. Schippels wirft Habeck vor, mit der SPD die Linkspartei auszugrenzen.
Insgesamt sei die Landespolitik „eine große Show“, meint Schippels. An der Show wird die Linkspartei vermutlich künftig weder in Schleswig-Holstein noch in Nordrhein-Westfalen teilnehmen: Laut den neuesten Umfragen liegt sie im hohen Norden bei nur noch 2,5 Prozent. An Rhein und Ruhr hat sie 4 Prozent. Die Piraten werden in beiden Ländern derzeit auf 9 Prozent taxiert. Die schleswig-holsteinischen Grünen kommen mit 13 Prozent momentan auf etwas mehr als die Grünen in NRW mit 10 Prozent.
Inzwischen steht sogar die lange Zeit sicher geglaubte rot-grüne Mehrheit im Düsseldorfer Landtag wieder auf der Kippe. Sven Lehmann warnt denn auch eindringlich vor einer drohenden großen Koalition. Wären denn die Grünen im Fall der Fälle bereit, der SPD Alternativen anzubieten? „Wir sind bereit, auch neue Modelle auszuprobieren“, sagt der Grüne. Schließlich sei das Experiment der rot-grünen Minderheitsregierung erfolgreich gewesen.
„Viele Anknüpfungspunkte“
Explizit erwähnte er die Abschaffung der Studiengebühren und die Aufhebung der Residenzpflicht für Asylbewerber, die zusammen mit der Linkspartei hätten durchgesetzt werden können. Eine themenorientierte Zusammenarbeit könne er sich auch mit den Piraten vorstellen, denn programmatisch gebe es „viele Anknüpfungspunkte“. „Copy-and-paste möchte ich jetzt nicht unterstellen“, schmunzelt Lehmann.
„Die Minderheitsregierung war das Beste, was dem Land in den letzten Jahrzehnten passiert ist“, sagt Oberpirat Marsching. Die künftige Piratenfraktion werde im Landtag „keine Blockadehaltung einnehmen, wir sind keine Demokratieverweigerer“. Dass sich die Piraten an manchen Stellen vom Programm der Grünen haben inspirieren lassen, bestreitet er nicht, im Gegenteil: „Ich finde, gute Dinge soll man kopieren.“ An Parteiprogrammen gebe es schließlich kein Urheberrecht.
Schleswig-Holsteins Chefpirat Torge Schmidt glaubt, seine Partei könne mit ihren Kernthemen punkten. Doch zu vielen Fragen dieses Abends hat der 23-jährige Spitzenkandidat keine Meinung, oft schließt er sich Habeck an. Zu rechten Tendenzen – ein Lübecker Pirat kritisierte Zuwendungen an den Zentralrat der Juden und warb im Internet für rechte Bands – sagte er, die Äußerungen seien „selten dämlich“, doch der Mann selbst sei in Ordnung.
Die Diskussion über rechte Tendenzen einzelner Mitglieder spielt auch in Köln eine Rolle. „Das Problem kennen alle Parteien“, räumt Linksparteilerin Schwabedissen ein. Aber sie erwarte von demokratischen Parteien, klar Position zu beziehen: „Für solche Menschen ist bei uns kein Platz.“ Der Beifall ist groß, auch Marsching applaudiert.
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