Wahlkampf in Russland: Kreml geht gegen Wahlbeobachter vor
Staatsanwaltschaft leitet Verfahren gegen eine Nichtregierungsorganisation ein. Diese hatte Verstöße gegen das Wahlrecht publik gemacht.

MOSKAU taz | Die Anspannung im Kreml steigt. Knapp drei Tage sind es noch bis zu den russischen Dumawahlen, bei denen die Kremlpartei Geeintes Russland (GR) erstmals mit schweren Einbußen zu rechnen hat. Am Donnerstag besuchten Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft das Büro der Nichtregierungsorganisation (NGO) "Golos" (Stimme) in Moskau und leiteten ein Verfahren gegen den Watchdog ein.
Golos ist die einzige russische Organisation, die Verstöße gegen Wahlgesetzgebung und Wahlverfahren beobachtet und im Internet publik macht. Laut Staatsanwaltschaft verstieß die NGO gegen Vorschriften, die es Massenmedien untersagen, eine Woche vor dem Urnengang Daten zu veröffentlichen, die mit Wahlen in Verbindung stehen.
Golos-Chef Grigori Melkojanz hält den Vorwurf für an den Haaren herbeigezogen: Die schriftliche Verwarnung sei eine "Provokation" und "stümperhaft". Anstoß nahm die Staatsanwaltschaft an der "regulär negativen Bewertung einer Partei", deren Namen zwar nicht erwähnt wurde, bei der es sich aber um die Regierungspartei GR handeln dürfte.
Golos hatte im Vorfeld der Wahlen die interaktive Seite "Karte der Verstöße" eingerichtet, auf der Wähler aus ganz Russland Zuwiderhandlungen gegen Wahlrecht und Wahlkampfregeln mitteilen konnten. Mehr als 4.500 Fälle sind in den letzten Wochen gemeldet worden. Darunter einige spektakuläre Missbräuche von Amtsträgern, die die Regierungspartei in Bedrängnis brachte.
Nach russischem Recht ist Golos weder ein Massenmedium noch sind die Daten Erhebungen von Meinungsforschern, deren Veröffentlichung das Gesetz eine Woche vor den Wahlen in der Tat untersagt. Golos ist dem Kreml jedoch seit Langem ein Dorn im Auge. Seit einigen Tagen läuft eine gezielte Kampagne gegen die NGO in regierungstreuen Medien. Freitagabend zur besten Sendezeit widmet der staatliche TV-Sender NTW der NGO einen eigenen Beitrag. Golos wird als ein vom Westen gesteuertes U-Boot dargestellt, da die EU, die Britische Botschaft und USAID die NGO finanziell unterstützen. Auf dem Parteitag der GR am letzten Sonntag hatte Wladimir Putin noch einmal vor antirussischen Machenschaften solcher im Dienste des Westens stehenden Organisationen gewarnt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung