Wahlkampf in Nigeria: Kleine Partei im Höhenflug
Am 25. Februar wird in Nigeria gewählt. Das Land steckt in einer tiefen Krise. Nun mischt Peter Obi den Wahlkampf auf.
Seit Tagen betonen LP-Funktionäre: Selbstverständlich werde man TBS füllen und es damit dem omnipräsenten All Progressives Congress (APC) – die Partei von Präsident Muhammadu Buhari, die bei der Wahl am 25. Februar mit dem ehemaligen Gouverneur von Lagos, Bola Tinubu, ins Rennen geht – zeigen. Nigerias Jugend habe die alten Männer und etablierten Parteien satt, Obi sei ihr Kandidat.
Peter Obi ist 61 Jahre alt und selbst Teil des Establishments. Er leitete eine Bank, war von 2007 bis 2014 Gouverneur des Bundesstaates Anambra und kandidierte bei der letzten Wahl in Nigeria 2019 für die People’s Democratic Party (PDP), die das Land von 1999 bis 2015 regierte, als Vize ihres Spitzenkandidaten Atiku Abubakar. Als PDP vergangenes Jahr den mittlerweile 76-jährigen Atiku erneut zum Spitzenkandidaten kürte, wechselte Obi zur kleinen Labor Party, die nun einen nie dagewesenen Höhenflug erlebt.
Daran arbeitet Eunice Atuejide, die für die LP ins Parlament einziehen will. Seit Wochen ist sie mitten im Wahlkampf, Tag und Nacht, sie schläft manchmal gerade einmal zwei Stunden pro Nacht. In ihrem Wahlkreis Apapa liegen Teile des Hafens von Lagos, einer der größten Afrikas, aber die Straßen dorthin sind wegen des Schwerlastverkehrs voller großer Schlaglöcher. „Die Menschen haben nicht einmal Wasser“, berichtet sie. „Ich habe schon abgepacktes gekauft und verteilen lassen. Es gibt so viel zu tun.“
120.000 Euro hat sie bereits für ihren Wahlkampf ausgegeben, selbst finanziert, mindestens 100.000 Euro seien bis zur Wahl noch notwendig. „Mich unterstützen viele Menschen, die in England oder Dubai leben“, sagt Eunice Atuejide und betont: Es gehe nicht darum, Stimmen zu kaufen, sondern Wahlhelfer*innen zu bezahlen, die Haustürwahlkampf betreiben und Plakate kleben, welche ebenfalls bezahlt werden müssen.
Benzin- und Bargeldmangel
Atuejide ging als 19-Jährige zum Studium nach Frankreich und lernte dort ihren ersten Mann kennen, einen Deutschen. Viele Jahre lebte sie im westfälischen Siegen und später in Würzburg, sie ist Mutter von fünf Kindern und Großmutter eines Enkels, alle leben in England. 2016 hörte sie eine Rede von Peter Obi und war fasziniert: „In einem Land, in dem Politiker eigentlich Diebe sind, gibt es trotzdem eine Chance für jene, die auf anderen Wegen etwas erreichen wollen. Eine Karriere in der Politik ist möglich.“
Ein Jahr später fasste die Juristin den Entschluss, nach Nigeria zurückzugehen, und zog nach Lagos. Zunächst gründete sie ihre eigene Partei, die National Interest Party (NIP), wechselte dann aber zu Labour. „Ich bin glücklich, dass ich hier bin. Nigeria muss dringend geholfen werden. Sonst wird es gefährlich.“
Afrikas Riesenstaat mit 220 Millionen Einwohner*innen ist angespannt wie selten, die Wirtschaftskrise und die Sicherheitslage sind desaströs. Aktuell kommen Benzin- und Bargeldmangel hinzu. Viele Menschen wissen nicht, wie sie das nächste Essen bezahlen sollen. Generell ist die Stimmung rund um Wahlen in Nigeria ohnehin aufgeheizt. Politische Ämter bringen Einfluss und viel Geld, der Kampf um die Macht ist hart und gnadenlos.
Tafawa Balewa Square will sich an diesem Samstagmittag einfach nicht füllen. Nur wenige „Obidiants,“ wie der Spitzname der Obi-Unterstützer*innen lautet, sind schon gekommen und haben sich einen Platz im Schatten gesucht. Die Tribünen bleiben leer. Die Organisator*innen kritisieren, Leute würden daran gehindert, überhaupt nach Lagos Island zu kommen. Die Straßen seien dicht.
Ben Iyoha hat es geschafft. An Stirn und Knie des 30-Jährigen kleben Pflaster. Das Auto, mit dem er gekommen ist, steht wie ein Mahnmal in der Nähe der Tribüne: Die Scheiben sind zersprungen, die Spiegel abgebrochen. Das sei auf dem Weg von Ajah hierher passiert, erzählt Iyoha.
„In einem Autokorso wollten wir Anhänger von Obi herfahren. Doch dann kamen plötzlich zwei Busse auf uns zugerast und stoppten uns. Menschen sprangen heraus, sie hatten Macheten und Waffen und zerschlugen die Scheiben.“ Iyoha wurde aus dem Auto gezerrt und getreten. „Wenn die Polizei nicht gekommen wäre, würde ich vielleicht gar nicht mehr leben.“ Die Polizeibehörde von Lagos hat den Überfall bestätigt.
„Viele sind müde“
Solche politischen Gewalttaten erleben junge Menschen in Lagos nicht zum ersten Mal. Als sie landesweit im Oktober 2020 gegen die Brutalität der Polizei-Sondereinheit SARS demonstrierten, starben allein in einer Nacht an der Mautstelle Lekki zwölf Menschen durch das Vorgehen der Polizei. Obi verurteilte damals die Polizeigewalt. Heute unterstützen ihn eine Reihe bekannter Demonstrant*innen aus dieser Bewegung.
Für Ben Iyoha ist Obi ein Hoffnungsträger. „Viele sind müde, wollen nur noch das Land verlassen und üben viel Druck auf europäische Staaten, die USA und Kanada aus. Das ist nicht gut“, findet er. Mit den Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien, Bola Tinubu (APC) und Atiku Abubakar (PDP), träten zwei wohlhabende Über-70-Jährige an, die seit Jahrzehnten zur politischen Elite gehören. Obi sei anders: „Er hat uns versprochen, kein Geld zu stehlen und aus Nigeria eine Wirtschaft zu machen, die produziert und nicht bloß konsumiert.“ Denn es fehlt an Arbeitsplätzen. Schätzungsweise jede*r zweite junge Erwachsene unter 30 Jahren hat keine bezahlte Arbeit.
Mittlerweile ist es 15 Uhr. Ganz voll ist der Platz noch immer nicht, aber für die Kundgebung reicht es. Nach mehreren Eingangsreden ist Obi an der Reihe. „Das, was dieses Land in den vergangenen 20 Jahren hervorgebracht hat, ist Arbeitslosigkeit, Hochschulstreiks, Benzinknappheit“, ruft er den Leuten zu. „Ich verspreche euch: Wir arbeiten hart daran, Menschen aus der Armut zu holen.“ Auch wolle er das ethnisch und religiös gespaltene Nigeria einen.
Wahlen werden in afrikanischen Staaten häufig auf dem Land gewonnen. In großen Städten wie Lagos wird zwar eifrig debattiert, letztendlich gehen viele Menschen aber nicht zur Wahl. In den Dörfern haben APC und PDP stärkere Netzwerke als LP. Ist Obis Höhenflug also ein Strohfeuer?
„Dieses Mal ist alles anders“, ist Eunice Atuejide sicher. Sie steht auf der Ehrentribüne, fotografiert mit ihrem Smartphone und lässt sich fotografieren. Die Wahl am 25. Februar hält sie für eine einmalige Chance. „Wenn wir die verpassen, müssen wir wieder vier Jahre warten.“
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