Wahlkampf in Berlin: Von Phrasen und Koalitionsfragen
In der Wahlkampfrunde bei der IHK gibt die AfD den Wolf im Schafspelz – und jeder merkt's. Grüne und SPD befeuern Spekulationen über neue Koalitionen.
Eigentlich sollte man über die AfD möglichst wenig Worte verlieren, erst recht im Wahlkampf, wo ihre Phrasen noch ein bisschen platter sind als ohnehin schon. Umso besser, wenn das inzwischen offenbar auffällt, zu beobachten etwa bei der Diskussion der sechs Spitzenkandidat*innen für die Berlin-Wahl bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) am Montagmorgen. Da wurde Kristin Brinker, Berliner Vorsitzende der extrem rechten Partei, von IHK-Vorstandsmitglied und Moderator Klaus-Dieter Müller nach ihrer Position zur Zuwanderung von Fachkräften gefragt, die der Bund jetzt forcieren wolle.
Ein heikler Punkt für Brinker, schließlich ist schwer einzuschätzen, wie reaktionär zumindest Teile der Berliner Wirtschaft ticken. Und natürlich weiß auch die AfD-Spitzenkandidatin, dass der allseits beklagte Fachkräftemangel nur in den Griff zu bekommen ist, wenn viel mehr Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland kommen und hier arbeiten wollen. Die Wirtschaft im Großen und Ganzen, so viel ist bekannt, hat sich da längst von den Stammtischparolen a la „Unser Land zuerst“, wie die AfD aktuell wirbt, verabschiedet.
Und so schlüpft Brinker in den Schafspelz, fordert kurz, dass die Zuwanderung von Fachkräften von der Regierung besser gesteuert werden müsse, was bisher nicht passiert sei, und wendet sich dann mit der Qualität der Schulen umfassend einem ganz anderen Thema zu. Nicht allerdings ohne am Ende die – aus ihrem Munde absurd anmutende – Frage aufzuwerfen, warum denn Deutschland nicht die Nummer eins der beliebtesten Länder für ausgebildete Kräfte sei?
„Vielleicht, weil die AfD ein Standortnachteil ist“, liefert Klaus Lederer, Spitzendkandidat der Linke, eine nicht ganz von der Hand zu weisende Antwort. Er würde jedenfalls nicht in ein Land gehen, in dessen Parlamenten Rassismus „satisfaktionsfähig“ sei. Bettina Jarasch (Grüne) weist dann darauf hin, dass das, was Brinker „ungeregelte Migration“ nenne, eigentlich Flucht bezeichne und das Asylrecht ein Grundrecht in Deutschland ist – wofür sie Applaus aus dem Publikum erhält. Und Moderator Müller stellt nüchtern fest, dass es Brinker „offenbar sehr unangenehm ist, auf meine Frage zu antworten“, da sie so schnell ausgewichen sei.
Wann geht es um die Verwaltungsreform?
In einer anderen Frage sind sich Jarasch und Lederer allerdings weniger grün: Wann wird sich der Senat mit den Plänen für die Verwaltungsreform beschäftigen? Dieses Thema spielt immer wieder eine Rolle in Wahlkämpfen – seit etwa 30 Jahren. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) kündigt an, das entsprechende Eckpunktepapier werde am 7. Februar Thema sein, also noch vor den Wahlen. Jarasch widerspricht: Der Rat der Bürgermeister, sprich: die Bezirke, müssten noch mehr einbezogen werden. Erst nach den Wahlen werde der Senat das Thema wieder aufgreifen.
Lederer wiederum hält es für möglich, das Papier zu beschließen, und danach mit dem Bezirken weiter zu reden. Eine Position, die Giffey teilt: „Der Rat der Bürgermeister wird selbstverständlich beteiligt nach Senatsbeschlussfassung. Das ist das ganz normale Verfahren.“ Und so wird durch die öffentliche Zurschaustellung aus einer Termin-Lappalie ein absurdes Scharmützel, das die durch den Wahlkampf verstärkten Risse in der rot-grün-roten Koalition deutlich macht. Dabei waren sich in der Runde mit Ausnahme der FDP eigentlich alle einig: Es braucht Reformen, klare Zuständigkeiten, und auch eine Rolle für die Bezirke.
Auseinandersetzungen wie diese befördern natürlich Spekulationen, ob es nach der Wahl und bei entsprechenden Ergebnissen zu einer anderen Koalition, etwa aus CDU, SPD und FDP, kommen könnte – was Sebastian Czaja, dessen FDP seit Jahrzehnten entweder in der Opposition ist oder gar nicht im Parlament, gerne aufgreift. Giffeys Aussage, man brauche für die Verkehrswende Anreize und keine Verbote, sei fast schon ein Appell, den Koalitionspartner zu wechseln, freut er sich. Genauso sieht das übrigens Bettina Jarasch. Worauf sie von Franziska Giffey ein leicht genervtes: „Ich habe für die SPD gesprochen, ich mache keinen Koalitionswahlkampf“, erntet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“