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Wahlkampf in BayernDie dritte Startbahn

Ex-Ministerpräsident Stoiber lässt sich bejubeln, sein Nachfolger Beckstein müht sich, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Ihre Auftritte zeigen die CSU als gespaltene Partei.

"Ja, äh, Grüßgott": Stoiber ist wieder auf Wahlkampftour.

WAHLENDSPURT

Es gäbe viel zu bereden vor dieser Bayernwahl: Den eklatanten Lehrermangel an den Schulen etwa, die vielen fehlenden Polizisten in manchen Regionen oder das völlig undurchsichtige Rauchverbot. Klar, dass die Noch-60,7-Prozent-Partei CSU zu den selbst fabrizierten Missständen nicht viel sagen mag. So werbetrommelt CSU-Chef Erwin Huber vor allem für seine Idee, die Pendlerpauschale wieder einzuführen. Sie war erst 2007 abgeschafft worden - unter Mitwirkung der CSU. Ebenfalls nicht sehr einfalls- und hilfreich: Hubers Ankündigung eines "politischen Kreuzzugs" gegen die Linkspartei. Seit ein paar Tagen lässt die CSU Plakate mit der altbewährten Aufschrift "Bayern, stark, CSU" kleben. Was sich dahinter verbirgt? Die üblichen christsozialen Leersätze: Heimat bewahren, Familien fördern, die Landwirtschaft unterstützen. Erwin Huber nennt so etwas ein "Zwölf-Punkte-Programm". BHÜ

In Haar, östlich von München, ist die Welt der CSU noch in Ordnung. Der örtliche CSU-Landtagskandidat Ernst Weidenbusch hat ausgesuchte Parteifreunde in das Bürgerhaus eingeladen, am vergangenen Sonntagmittag. Es gibt Freibier vom Fass. Und auf einmal, wie ein Geist, der aus seiner Flasche ploppt, steht Edmund Stoiber mitten in der Menge.

"Ja, äh, Grüßgott", ruft Stoiber. Er trägt einen perfekt sitzenden Trachtenjanker und Krawatte, lächelt entspannt. Sein Gesicht ist braungebrannt. Es ist kein Jahr her, da sägte ihn die eigene Partei als Ministerpräsident und Parteichef ab - so rabiat, dass selbst ein Kurt Beck noch Mitleid hätte. Aber heute in Haar scheint das alles für ein paar Stunden vergessen. Edmund Stoiber, das "blonde Fallbeil", ist wieder da. Die CSUler stehen auf und klatschen.

Von der Bühne begrüßt ihn der Ortsvorsitzende. Er sagt: "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident." Niemand im Saal versucht ihn zu korrigieren.

Er habe eine Woche Urlaub gemacht, sagt Stoiber. Eigentlich leitet er jetzt ehrenamtlich eine EU-Expertengruppe für Bürokratieabbau. Aber er macht auch Wahlkampf für seine Partei. Es sind nur wenige Termine, für alte Getreue - Markus Söder etwa oder Horst Seehofer. Das waren die Verlierer, als vor einem Jahr um Stoibers Nachfolge an der Spitze Bayerns und der CSU gerungen wurde. Sollte es bei der Landtagswahl am 28. September kein Ergebnis über 50 Prozent für die CSU geben, dürfte es auch für die jetzige CSU-Doppelspitze Erwin Huber und Günther Beckstein eng werden. Sowohl Söder als auch Seehofer werden als mögliche Nachfolger gehandelt. Stoiber macht also Wahlkampf für seine Partei, aber auch ein bisschen gegen die eigene Parteispitze. Nett ist das nicht.

Es ist ein Abend in der vergangenen Woche. Die CSU in Erding, im Norden von München, hält ihre große Wahlkundgebung im Bierzelt des Erdinger Weißbräu. Der Stargast ist Günther Beckstein - der echte Ministerpräsident.

In Erding könnte die Welt für die CSU eigentlich auch in Ordnung sein. Sie stellt vor Ort den Bürgermeister, den Landrat, die Träger der Direktmandate in Bundestag und Landtag. Aber in der Nähe von Erding liegt auch der Münchner Flughafen. Den möchte die bayerische Staatsregierung um eine Startbahn erweitern. Weil das Lärm und Abgase bringt, treibt das viele brave Erdinger auf die Barrikaden und weg von der CSU. Bei der letzten Kommunalwahl gab es herbe Verluste.

Das ist das Problem der CSU bei dieser Wahl. In großen Städten tat sich die Partei schon immer schwer. Aber Erding ist keine große Stadt. Das Milieu ist bäuerlich, die Wirtschaft brummt, und trotzdem sind die Menschen unzufrieden mit der CSU. Es ist keine so fundamentale Krise wie bei der SPD. In den vergangenen Jahren sind nur wenige tausend Mitglieder aus der Partei ausgetreten. Aber die Christsozialen sind das Verlieren nicht gewöhnt. Ein Wahlergebnis unter 50 Prozent wäre für sie so etwas wie ein Erdbeben. Und die aktuellste Umfrage sieht die CSU in Bayern tatsächlich nur bei 49 Prozent.

Der Weg des Ministerpräsidenten ins Bierzelt führt vorbei an 40 Bürgern, die mit bunten Transparenten gegen die Startbahn protestieren. Beckstein schiebt sich in einer Traube aus Begleitern in das Zelt. Sein Gesicht sieht bleich aus, der Trachtenjanker sitzt schief. Von der Bühne begrüßt ihn der Landrat, ebenfalls CSU. "Ich darf auch die dritte Startbahn erwähnen", sagt er zum Ministerpräsidenten. "Ich bitte um Ihr Verständnis dafür, dass wir uns klar dagegen positioniert haben."

Lautes Klatschen brandet auf. Spätestens jetzt dürfte es Günther Beckstein klar sein, dass die Menschen mit den Transparenten, vorhin vor dem Zelt, nicht die einzigen Kritiker an diesem Abend gewesen sind, mit denen er heute Abend zu kämpfen hat.

Bei den Parteifreunden in Haar hat Edmund Stoiber die Bühne erklommen. "Die Leute in Bayern", ruft er ins Mikrofon, so laut, dass die Ohren schmerzen, "geben der CSU keine große Mehrheit, wenn wir nur eine Bayernpartei sind. Man muss sich auch in Berlin und Brüssel durchsetzen. DAS macht den Mythos der CSU aus."

In Erding steht Beckstein auf der Bühne, unter einem viel zu großen, beleuchteten Weißbierglas aus Kunststoff und sagt: "Ich weiß, dass die Menschen in der Region den Bedarf nach einer dritten Startbahn bestreiten." Seine Stimme klingt heiser, von den vielen Auftritten. Er verschluckt Silben, manchmal auch ganze Worte. Der Startbahnbau sei notwendig, wegen der Arbeitsplätze, sagt der Ministerpräsident.

Wenn man sie so sieht und hört, scheinen sie aus komplett verschiedenen Welten zu kommen, dieser Günther Beckstein und dieser Edmund Stoiber, der aktuelle Ministerpräsident und der ehemalige. Der eine redet von Straßenbauarbeiten und Lärmschutzwänden und klingt wie ein bemühter Lokalpolitiker. Der andere schwadroniert von Parteimythen und dem großen Europa und hört sich dabei an wie ein größenwahnsinniger Bundespräsidentenkandidat.

Die beiden stehen für zwei Linien der Politik, die ihre Partei immer ausgemacht haben: auf der einen Seite die biedere Landespolitik und der Blick auf die Befindlichkeiten der Volksseele, auf der anderen Seite die Vision für die großen, globalen Zusammenhänge. Die CSU war immer dann besonders erfolgreich, wenn beide Linien harmonierten. Franz Josef Strauß zog seine Fäden in der Bonner Bundespolitik, intervenierte in afrikanischen Krisenstaaten, die er in Gefahr vor sowjetischem Einfluss sah, aber gleichzeitig sorgte er auch dafür, dass Bayern ein Schulsystem hatte, mit dem alle zufrieden waren.

Als Stoiber an die Macht kam, machte er da weiter. Aber irgendwann ging vor lauter Geltungsstreben in Brüssel und Berlin der Blick für die kleinen Probleme der Landespolitik verloren. Auf einmal wurden Magnetschwebebahnen geplant, die niemand brauchte, Schulreformen durchgedrückt, die niemand wollte, und mit groben Schnitten Finanzmittel gekürzt, nur um in Berlin mit einem ausgeglichenen Landeshaushalt angeben zu können. Jetzt ist Stoiber zwar weg, die Probleme, die seine Politik geschaffen hat, sind jedoch geblieben. Sie sind der Grund, warum die CSU Gefahr läuft, bei der Landtagswahl am Sonntag in einer Woche ihre absolute Mehrheit zu verlieren. Sie sind auch der Grund, warum es Günther Beckstein in diesen Tagen so schwerfällt, in Bierzelten die CSU-Politik zu verkaufen, warum er über so unglamouröse Dinge wie Umgehungsstraßen und Autobahnen reden muss.

"Es gibt halt hier auch mehr Widerstand, als wenn in Nordbayern eine Straße gebaut wird", krächzt Beckstein. "Gehen Sie mal nach Hof oder in die östliche Oberpfalz, wo Arbeitslosigkeit noch ein Problem ist."

"Die CSU ist wie der FC Bayern", schreit Stoiber. "Auf dem Niveau wollen die Menschen immer mehr. Da reicht es nicht, zu sagen: Euch geht es besser als anderswo."

"Es sind dunkle Wolken am Himmel der Konjunktur", warnt Beckstein. Als Regierungschef sei er verpflichtet, Infrastrukturprojekte durchzusetzen, auch umstrittene. Applaus gibt es an solchen Stellen kaum.

In Haar ruft Stoiber: "Wer von dem, was er sagt, nicht begeistert ist, der kann die Leute nicht begeistern." Stürmischer Applaus.

In Erding leert sich das Bierzelt langsam. Die große Rede ist vorbei, es hat freundlichen Applaus gegeben, mehr nicht. Der Ministerpräsident bittet die Startbahngegner zu sich, die vorhin mit ihren Transparenten vor dem Zelt standen. Beckstein schüttelt jedem die Hand und so sitzen sie dann, fünf führende Erdinger Startbahngegner, ein renitenter Landrat und ein bayerischer Ministerpräsident.

Einer der Startbahngegner, er heißt Alfred Schreiber, hat Karten dabei, die Einflugschneisen und Lärmbelastung zeigen. Beckstein lässt sich von Schreiber alle Pfeile und Diagramme erklären. "Es gibt doch heute Grenzwerte, die härter sind als vor zehn Jahren", sagt Beckstein. "Für dumm lass ich mich auch nicht verkaufen. Ich wohne selbst an einer Bahnstrecke." Das sei etwas anderes als ein Flughafen, meinen die Startbahngegner. Man kämpfe da auch mit der Lärmschutzpolitik, die die rot-grüne Bundesregierung hinterlassen habe, findet der Landrat.

Beckstein klammert sich an seinen Maßkrug und wird lauter: "Es gibt halt Leute, die brauchen eine Arbeit", ruft er. "Ich will einen großen Flughafen, weil Ihr in dieser Region alle einen Lebensstandard habt, den man nur mit der regionalen Wirtschaft nicht finanzieren kann. Versteht mich doch!"

In Haar schreit Edmund Stoiber noch einmal ins Mikrofon. "Vielleicht haben wir zu viel über Details geredet. Wir verwirren die Menschen." Dann bricht Jubel aus, die Parteifreunde stehen auf. Stoiber hält triumphierend ein Weißbierglas in die Höhe, aus dem er kaum mehr als zwei Schluck getrunken hat.

Im Bierzelt von Erding ist kaum mehr jemand da, der jubeln könnte. Ein paar Arbeiter montieren die großen Lautsprecher von der Bühne ab. Und noch immer sitzt Günter Beckstein bei den Startbahngegnern. Man werde ganz genau prüfen, ob die Startbahn notwendig ist, verspricht er. "Ich habe doch schon beim Transrapid gezeigt, dass ich ein Projekt vom einen auf den anderen Tag hart absetzen kann."

Es wird dunkel im Bierzelt. Aber Beckstein will noch nicht gehen. Nach einer halben Stunde kommt der ehemalige Minister Hans Zehetmair an den Tisch. Er blickt Beckstein an. "Günther", sagt er, "ich bitte dich, geh heim. Du musst morgen wieder früh raus."

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