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Wahlkampf im NetzKrampfhaft locker

Die Parteien versuchen, sich im Onlinewahlkampf zu profilieren. Dass das Web 2.0 aber Mitmachinternet und kein einseitiger Kommunikationsweg ist, haben sie noch nicht verinnerlicht.

Sie wollen alle den Obama machen, der Onlinewahlkampf der etablierten Parteien floppt aber gerade gehörig. Bild: dpa

Spindoktoren können viel an Wahlkämpfen drehen. Sie konnten dafür sorgen, dass Edmund Stoiber drei Sätze am Stück ohne ein einziges "Äh" durchstand. Sie können sogar einen Wahlausgang drehen - nur mit Hilfe eines verweigerten Irakkriegs und einer Flutkatastrophe. Doch Spindoktoren brauchen dazu eines: Kontrolle.

Und genau daran kranken alle aktuellen Versuche, einen Onlinewahlkampf hinzulegen, der die junge, smarte Zielgruppe genau dort abholt, wo sie ohnehin gerade ist und sie zum Mitmachen animiert. Mit allem Web-2.0-Schnickschnack, der doch schon bei US-Präsident Obama so toll funktioniert hat. Ihre Hausaufgaben dafür haben die Parteien gemacht: Agenturen haben ihnen schicke Kampagnenseiten zusammengezimmert, auf denen stolz MeinVZ- und Facebook-Profile, Youtubekanäle und Twitter- bis Flickr-Accounts präsentiert werden.

Trotzdem ist der Onlinewahlkampf aller Bundestagsparteien gerade dabei, gehörig zu floppen. Aus einem einfachen Grund: Die Parteien scheinen nicht zu begreifen (oder nicht darauf reagieren zu wollen), dass soziale Netzwerke und all diese hübschen bunten Web-2.0-Anwendungen nur dann interessant sind, wenn man an einem Austausch mit anderen Usern interessiert ist. Und nicht nur kommuniziert, was vorher mit der Pressestelle abgesprochen war.

Beispiel gefällig? SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier vermeldet auf Facebook: "Gestern habe ich erklärt, worum es in den nächsten 47 Tagen geht." Und verlinkt auf einen Blogeintrag im Stil einer Pressemitteilung. Gähn. Nicht besser: Grünen-Fraktionschefin Renate Künast, die in einem Youtube-Video über das AKW Krümmel und Rente referiert. Drei Minuten lang. Oder Kanzlerin Merkels "Team Deutschland", das sich mit Tweets wie "Im Adenauerhaus werden gleich die CDU-Plakate zur Bundestagswahl vorgestellt" hervortut. Das fesselt bestimmt niemanden vor dem Rechner.

Auf vielen Wahlkampfplattformen scheint es einfacher, eine Bahnfahrt mit der Kanzlerin zu gewinnen, als sich inhaltlich einzubringen. Aber Web 2.0 ist Mitmachinternet. Spannend wären Communitys, in denen Diskussionen hochkochen und auch bekannte Politiker mal Tacheles reden.

Oder Twitter-Profile, die einen wirklichen Eindruck davon vermitteln, wie dieser Politiker eigentlich tickt, welche politischen Überlegungen ihn wirklich umtreiben. Beides ist riskant - denn weder eine Pressestelle noch ein Spindoktor könnten so den Inhalt vorab sichten. Parteistreitereien sind vorprogrammiert, weil die eine oder andere Aussage neben der allgemeinen Parteilinie liegt. Und auch die Debatten der User könnten außer Kontrolle geraten. Aber das wäre unverstellte Echtzeit-Öffentlichkeit - nach dem Geschmack der "digital natives".

Wohin das - im Guten wie im Schlechten - führen kann, demonstriert derzeit die Piratenpartei. Aus Geldmangel wie aus Selbstverständnis setzt sie auf Mitmachwahlkampf, produziert laufend Wahlwerbeclips wechselnder Qualität, diskutiert die Affäre um den Holocaust-Skeptiker Thießen in aller Weböffentlichkeit und pflastert die Online-Ausgabe des Egoshooters "Counter Strikes" ungefragt mit virtuellen Plakaten.

Natürlich ist es ungerecht, die Piraten, insgesamt mehr Onlinecommunity als politische Partei, mit den grau melierten Spitzenpolitikern zu vergleichen. Wer aber wenigstens 2013 einen anständigen Onlinewahlkampf führen will, sollte sich genauer ansehen, wie die Piraten Internetnutzer online mobilisieren.

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